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■ Geht es den Bündnisgrünen künftig um Inhalte oder um die Form?Grüne Publikumsbeschimpfungen

Es mag ja sein, daß ökologische Themen modrig riechen, UNO-Mandate für Militäreinsätze verzichtbar sind, Steuerprivilegien für Diplomaten hingegen nicht und daß die Frauenquote auf den Abfallhaufen der Geschichte gehört. Vielleicht sind fünf Mark für einen Liter Benzin auch langfristig überteuert. Möglicherweise ist ein Verbot der atomaren Wiederaufarbeitung nicht so eilig und die doppelte Staatsbürgerschaft keine gute Voraussetzung für die Integration von Ausländern in die Gesellschaft. All diese Positionen haben in den letzten Monaten prominente Vertreter von Bündnis 90/Die Grünen vertreten.

Sie werden bald gewiß auch gute Argumente gegen die rechtliche Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften finden. Dafür braucht es nur etwas Widerstand in Kreisen, die nie in Versuchung waren, diese Partei zu wählen. Das sind immerhin rund 90 Prozent der Bevölkerung. Wer den Grünen fern steht, mag den bizarren Größenwahn als komisch genießen, der darin liegt, wenn sich ausgerechnet eine so kleine Partei plötzlich zum Gralshüter des gesellschaftlichen Konsenses aufschwingt. Viele ihrer Wählerinnen und Wähler finden die Entwicklung dagegen nicht so lustig. Die Bereitschaft zu Kompromissen unterscheidet Politiker von Sektierern. Werden aber Niederlagen in Erfolge umgedeutet und vormals eigene Positionen laut gegeißelt, dann bleibt die Glaubwürdigkeit auf der Strecke.

Derzeit werben bündnisgrüne Spitzenpolitiker mehr um Applaus als um Stimmen. Im Eifer des Gefechts beschimpfen sie dabei die eigene Klientel. Sie habe sich gemütlich im Milieu der 80er Jahre eingerichtet und widme sich allenfalls gesellschaftlichen Randthemen. Daniel Cohn-Bendit nannte die doppelte Staatsbürgerschaft kürzlich in dieser Zeitung einen „Fetisch für Gesinnungsethiker“. So verächtlich hat nicht einmal die oft als Umfallerpartei gescholtene FDP je die eigenen Anhänger abgekanzelt.

Es ist verständlich, daß die Grünen sich bemühen wollen, neue Wählerschichten zu erreichen und vor allem Zuspruch bei den Jungwählern zurückzugewinnen. Aber ob es klug ist, gleichzeitig den Stammwählern zu suggerieren, eine Zustimmung zu Programmrichtlinien der Partei zeuge von Vergreisung? Derzeit laufen die Grünen Gefahr, auch die geriatrischen Patienten zu verlieren, die älter sind als 24 Jahre. Das gilt um so mehr, als sich aktuelle Themen nicht einfach kreieren lassen. Die Vorstellung ist hübsch, wie bündnisgrüne Führungsgremien bei parteistrategischen Beratungen darüber grübeln, für welche brennende Frage sie sich demnächst ganz leidenschaftlich engagieren wollen. So wird Beliebigkeit zum Programm.

Die überraschend von den Ministern Joschka Fischer und Jürgen Trittin losgetretene Diskussion über die Strukturreform der Partei scheint sich auf den ersten Blick in das Bild von den Grünen auf dem Weg zur Stromlinienfömigkeit nahtlos einzufügen. Gut möglich, sogar wahrscheinlich, daß auf dem Parteitag am kommenden Wochenende diejenigen unter den Delegierten den Vorstoß abstrafen, denen die ganze Richtung derzeit nicht paßt. Das wäre ein Fehler.

Die Doppelspitze von Partei und Fraktion wirkt oft verkrampft. Sie erschwert die Handlungsfähigkeit und die klare Festlegung der Bündnisgrünen auf bestimmte Positionen. Allzuoft sprechen sie eben mit mindestens zwei, wenn nicht mit noch mehr Zungen. Die Doppelspitze sowie die Trennung von Amt und Mandat befördern auch nicht die innerparteiliche Demokratie. Im Gegenteil: Die schwerfällige Struktur des Apparats hat es begünstigt, daß Joschka Fischer zur grauen Eminenz der Partei aufsteigen konnte, ohne durch Wahlen legitimiert oder den Gremien Rechenschaft schuldig zu sein. Der SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine hat Grund, ihn zu beneiden.

Nie zuvor haben Basis und Führungsspitze der Grünen im Vergleich zur Fraktion eine so geringe Rolle gespielt wie heute. Wenn die Partei die Deutungsmacht über das Programm zurückgewinnen will, und das ist ihre Aufgabe, dann muß sie sich eine klare, unzweideutige Struktur geben. Gerade wer sich mehr inhaltliche Festigkeit wünscht, sollte organisatorisch dafür die Voraussetzungen schaffen. Bettina Gaus

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