Geheime Vorbereitungen für Karneval: Die Freiheit der Narren
In Düsseldorf hauen die Jecken besonders gerne drauf. Auch nach dem Anschlag auf „Carlie Hebdo“? Vorab gibt es keine Infos über die Karnevalswagen.
DÜSSELDORF taz | Die Halle wirkt wie eine Filmkulisse vor Drehbeginn: Dicht an dicht steht ein Karnevalswagen neben dem anderen. An einigen arbeiten Leute, malen Motive oder klatschen nasses Papier auf Maschendraht. Auf vielen Wagen sind Figuren in Folien eingehüllt, ein paar Narrenkappen und Harlekins sind zu erkennen. Bis zum Rosenmontagszug in einer Woche dürfen höchstens die Auftraggeber einen Blick auf die Wagen werfen.
In einem ehemaligen Straßenbahndepot im Düsseldorfer Stadtteil Bilk bauen Jacques Tilly und sein 15-köpfiges Team jedes Jahr Dutzende von Karnevalswagen. Immerhin empfängt Tilly hier Besucher – wenn auch mit der Mahnung, bloß über keine Details zu berichten.
In die Werkstatt nebenan dagegen darf außer den Wagenbauern niemand. An diesem Ort entstehen die berühmten Mottowagen für den Düsseldorfer Rosenmontagszug – jene ätzenden politischen und oft religionskritischen Wagen, die immer wieder für Empörung sorgen und deren Bilder es bis auf die Titelseiten der internationalen Presse bringen. Die Karnevalswagenhalle ist eine Charlie Hebdo in 3D.
Jacques Tilly entwirft die Mottowagen. Der 51-Jährige ist ein großer Mann mit kurzen dunklen Haaren, angenehmer Stimme und festem Händedruck. In seinem roten Arbeitsoverall läuft er durch die Halle und packt selbst mit an. Tilly versteht sich als Humorist und als Humanist. Er passt so gar nicht in die mitunter sexistische und rassistische Welt des rheinischen Karnevals. Er ist ein Intellektueller, der hart an seinen Entwürfen arbeitet, damit die Botschaft auch ankommt. „Zugphilosoph“ hat ihn der Spiegel einmal genannt.
Er selbst will seine Motive nicht überfrachten. „Das soll in erster Linie Unterhaltung sein“, sagt er bescheiden. Doch anders als seine Kollegen in Köln oder Mainz sucht er nicht die milde, seichte Satire, sondern beißt fest zu. Weltpolitik, Kulturkampf, christliche Kirchen, fundamentalistische Muslime – Tilly fürchtet sich vor nichts.
Aktuell und auf Anhieb erkennbar müssen die Themen sein. Aber 3-D-Satiriker Tilly zieht für sich klare Grenzen. „Wir spotten nicht über Opfer“, sagt er mit Nachdruck. Er hält sich an Täter und Mächtige. Die will er nicht schonen. Ob die Anschläge islamistischer Terroristen in Paris Thema beim Rosenmontagszug sein werden, verrät Tilly nicht. Die Mottowagen bleiben geheim, dabei bleibt es.
In Köln ist das anders. Zum ersten Mal haben sie dort in diesem Jahr sogar online über einen Wagen abstimmen lassen. Ein ziemlich harmlos daherkommendes Charlie-Hebdo-Motiv hat gewonnen, aber das Festkomitee ist schnell eingeknickt. Es gab diffuse Sicherheitsbedenken. Der Wagen wird nicht fahren.
Jacques Tilly sagt, die Ereignisse in Paris hätten ihn tief schockiert. Wenn er in Frankreich Urlaub mache, auf einem Campingplatz bei Bordeaux, kaufe er immer die „Charlie Hebdo“. „Es geht um den Identitätskern unseres Selbstverständnisses“, sagt er. Ob die Anschläge ihm Angst gemacht haben? Er lässt es sich nicht anmerken. An seiner Arbeit ändern will er jedenfalls nichts.
Ein mächtiger Putinkopf
Zwischen zwei Wagen in der Halle steht ein mächtiger Putinkopf, hergestellt in der typischen Düsseldorfer Leichtbauweise. Nach Tillys Entwürfen gestalten die Wagenbauer die Figuren und Motive aus Maschendraht, danach werden sie mit nassfestem Blumenpapier „kaschiert“, wie sie das Verkleiden nennen. Das Papier lag vorher in einem Gemisch aus Knochenleim und Kreidewasser. Das ist wasserfest. Tapetenkleister würde sich bei Regen auflösen.
Noch ist nicht klar, ob Putin in diesem Jahr zum Einsatz kommt. Tilly will so aktuell wie möglich sein. Im vergangenen Jahr kamen die Edathy-Affäre und der ADAC-Skandal kurz vor Rosenmontag – und tauchten im Zug auf. 2012 trat der damalige Bundespräsident Christian Wulff an einem Freitag vor Rosenmontag zurück, er bekam noch einen Wagen. Mogelverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg verabschiedete sich an einem Dienstag vor Rosenmontag. Am Altweiber-Donnerstag hatte Tilly einen Entwurf – aber die Zeit hatte eine Karikatur mit der gleichen Idee. Tilly ließ sich etwas Neues einfallen. Für den Wagen mit dem Schriftzug „Angela Merkels 11. September“ musste er viel Schelte einstecken.
„Humor ist die humanste Form der Kritik“, sagt Tilly. Seinen ersten Wagen baute er 1983. Mit dem Wagenbau finanzierte er sein Studium, Kommunikationsdesign an der Gesamthochschule Essen. Damals machte er unter anderem ein Praktikum bei Coordt von Mannstein, der lange Wahlkämpfe für die CDU organisierte. Doch als er mit dem Studium fertig war, wollte Tilly nicht in eine Agentur.
Ein Hauch von Iran
Die Düsseldorfer Wagenbauer bekamen die Halle in Bilk, der Rosenmontagszug einen neuen Zugleiter. „Die Ausgangslage war perfekt“, sagt Tilly. So machte er aus dem Karnevalsbau einen Beruf. Außerhalb der Saison bauen seine Leute und er Großplastiken für Firmen. „Wir sind keine Künstler“, betont Tilly. „Kunst ist nicht weisungsgebunden.“ Ganz so einfach ist das bei Karnevalisten nicht.
Bis zur Jahrtausendwende war bekannt, wie die Mottowagen des Düsseldorfer Rosenmontagszugs aussehen würden. Das weckte Begehrlichkeiten. 1996 wollte Tilly das Kruzifix-Urteil gegen den Kreuzzwang in Schulen kommentieren. An Kreuze genagelte verkleidete Narren, über denen „Helau“ statt „INRI“ stand, sollten durch Düsseldorf fahren. Die katholische Kirche tobte. Schließlich fuhr der Wagen mit verhüllten Narren und dem Schild „ersatzlos gestrichen“. „Da war ein Hauch von Iran zu spüren“, sagt Tilly.
Im Jahr 2000 sorgte die abgewählte Düsseldorfer Oberbürgermeisterin Marlies Smeets für einen solchen Ärger, dass die Karnevalisten auf den Motivwagen mit ihr verzichten und beschlossen, künftig ihre Wagen im Geheimen zu bauen. Tilly hatte SPD-Frau Smeets auf einer Totenbahre liegend zeigen wollen, mit einem Messer im Bauch. Jetzt entscheiden nur Tilly, der Zug- und Wagenbauleiter, sowie Geschäftsführer und Präsident des Comitees Düsseldorfer Carneval über die Entwürfe. Anders als in Köln werden in Düsseldorf die Wagen nicht von kirchlichen Würdenträgern gesegnet.
„Ich habe abgetrieben“
Jetzt zetern die Kritiker nur noch im Nachhinein, und zwar durchaus lautstark. Etwa 2005 gegen jenen Mottowagen, der den Kölner Erzbischof Joachim Meisner zeigt, wie er eine Frau auf einem Scheiterhaufen anzündet, die bekennt: „Ich habe abgetrieben“.
Die Darstellung des mittlerweile pensionierten Papstes Benedikt XVI., der einen Pakt mit dem Pius-Bruder und Holocaust-Leugner Richard Williamson schließt, ließ 2009 Meisner sogar persönlich gegen die Düsseldorfer wüten. Auch der Zentralrat der Muslime hat sich schon bei Tilly beschwert. 2007 fand die Organisation den Mottowagen über islamistische Selbstmordattentäter empörend. Zu sehen waren zwei Figuren mit Turban und Sprengstoffgürtel, die eine Pistole und ein Schwert in den erhobenen Händen hielten.
„Klischee“ steht auf einem Schild vor der ersten Figur, „Wirklichkeit“ vor der zweiten. Auch der Kampf um die Mohammed-Karikaturen war Thema beim Düsseldorfer Rosenmontagszug: 2010 biss ein Narr einem Mann mit Turban und blutigem Schwert in der Hand in den Po. „Wer zuletzt lacht …“ stand auf dem Wagen, an dem eine Dänemarkfahne steckte.
Keine Erfindung der Christen
„Karneval ist weltanschaulich neutral“, sagt Tilly. Er schlägt den ganz großen Bogen von der Antike über das Mittelalter bis ins Heute, um davon zu überzeugen, dass Menschen immer schon das Bedürfnis hatten, sich wenigstens für eine Zeit von Repression zu befreien, Rollen zu tauschen und zu feiern. Karneval, das ist ihm wichtig, sei keine christliche Erfindung. Tilly ist Agnostiker. Er sitzt im Beirat der religionskritischen Giordano-Bruno-Stiftung. „Religionen beeinträchtigen vielfach das Selbstbestimmungsrecht“, sagt er.
Der Pressesprecher des Comitees Düsseldorfer Carneval kommt auf einen Sprung zu Tilly in die Halle. Hans-Peter Suchand hat eine Narrenkappe auf dem Kopf und einen Schal mit Karnevalsmotiven um den Hals gebunden. Auch er darf nicht in die Werkstatt mit den Mottowagen.
Suchard hat gerade einer Lokalzeitung ein Interview gegeben. Wie immer in diesen Tagen ging es um Religionskritik nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo. „Und was hast du gesagt?“, will Tilly wissen. „Na, was wir immer sagen“, antwortet Suchand. „Gott und der Prophet sind tabu, aber Bodenpersonal geht immer.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!