Geheimdienstexperte über Abhöraffäre: „Guter Zeitpunkt zur Gegenwehr“
Für Erich Schmidt-Eenboom ist die Überwachung von Merkels Telefon nicht überraschend. Die Enthüllungen erzeugen aber Handlungsdruck.
taz: Herr Schmidt-Eenboom, hat Sie die Nachricht überrascht, dass das Handy von Frau Merkel von den USA-amerikanischen Geheimdiensten abgehört wurde?
Erich Schmidt-Eenboom: Nein, in keiner Weise. Denn schon zu Beginn der Snowden-Enthüllungen gab es erste Hinweise darauf, die von der Bundesregierung abgebügelt wurden. Diese Beschwichtigungspolitik fällt Merkel jetzt auf die Füße und zeigt, dass man den Politikern einfach nur vorgegaukelt hat, sie könnten sicher kommunizieren. Merkel muss aber nun indirekt eingestehen, dass alle geheime Regierungskommunikation - also auch die aller Kabinettskollegen - von der NSA erfasst und aufgezeichnet werden kann.
Warum empört sich die Kanzlerin nur, wenn sie unmittelbar selbst betroffen ist?
Das ist eine ganz deutliche politische Strategie. Sie wollte das Thema aus dem Wahlkampf heraus halten und hat Kanzleramtsminister Pofalla instrumentalisiert, um das Thema totzumachen, was natürlich angesichts der ständig neuen Enthüllungen ganz unmöglich ist. Deshalb ist der Zeitpunkt jetzt eigentlich gut, in die Gegenwehr zu gehen, da es ja auch in Frankreich große politische Empörung gibt.
Wie könnte denn eine solche Gegenwehr aussehen?
Bereits vor drei Jahren hatten die Amerikaner ja ein No-Spy-Abkommen angeboten, für das der französische Geheimdienst einen Entwurf ausgearbeitet hatte. Zwar ist dieser konkrete Vorstoß damals noch direkt an Präsident Obama gescheitert. Aber er zeigt, dass Vereinbarungen grundsätzlich möglich sind.
60, ist Geheimdienstexperte und Direktor des Forschungsinstituts für Friedenspolitik im bayerischen Weilheim. 2005 wurde bekannt, dass er in den 1990er Jahren selbst lange vom Bundesnachrichtendienst überwacht wurde.
Inwieweit spioniert Deutschland eigentlich selbst?
Spionage gegenüber Verbündeten mit funkelektronischer Aufklärung findet so gut wie nicht statt. Der BND konzentriert sich sehr stark auf seine Kernaufgaben. Das heißt militärische Aufklärung in Einsatzgebieten der Bundeswehr, die Bekämpfung des internationalen Terrorismus und der organisierten Kriminalität. Er hat die Verbündeten weitestgehend durch eine offene Aufklärung und den Austausch von Informationen mit Partnerdiensten Auge. Auch deshalb hat der BND natürlich ein Lagebild über die Kapazitäten der NSA und das Bundeskanzleramt ist längst gewarnt.
Also ist diese Form der Spionage seitens der Amerikaner nichts wirklich Neues?
Nein. Schon der erste Kanzler der Bundesrepublik, Konrad Adenauer, stand im Visier der Nachrichtendienste. Und wir wissen aus den freigegebenen Dokumenten im amerikanischen Nationalarchiv, dass schon in den 50er Jahren abgehört wurde und die CIA Spione im Kanzleramt platziert hat. Dass dieses Vorgehen der USA so lange verschwiegen wurde ist das Ergebnis bündnispolitischer Erwägungen. Erst durch die Snowden-Enthüllungen ist hier nun ein neuer Handlungsdruck erzeugt worden.
Die einsehbaren Archivunterlagen beziehen sich auf die Frühphase der Bundesrepublik. Welche aktuelleren Belege gibt es?
Beispielsweise die Aufregung, die Bernd Schmidbauer 92/93 als Kanzleramtsminister verursacht hat, als er öffentlich forderte, nach der Wiedervereinigung endlich eine nachrichtendienstliche Rundumverteidigung aufzubauen, weil eben ganz klar war, was die Amerikaner auf diesem Felde tun. Unter ihm ist zum ersten und bisher einzigen Mal ein CIA-Mann aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen und zur Persona non grata erklärt worden, weil er versucht hat, Leute im Wirtschaftsministerium anzubaggern. Auch Edmund Stoiber hat den Amerikaner als damaliger Ministerpräsident ganz explizit vorgeworfen, Industriespionage aus Bad Aibling zu betreiben. Auch das beruhte natürlich auf nachrichtendienstlichen Hinweisen.
Aber, wie Regierungssprecher Steffen Seibert es formulierte, wir sind doch nicht mehr im Kalten Krieg?
Nein, aber das Ende des Kalten Krieges hat zwar die Prioritäten der Nachrichtendienste nachhaltig verschoben. Das Interesse an Deutschland ist aber nicht verschwunden. Denn gerade die Verbündeten sind für die Vereinigten Staaten in ihrem Handeln sehr politikrelevant.
Wieso?
Wir haben eine Menge an wirtschaftlichen und kulturellen Sonderbeziehungen zu China, die den Amerikanern durchaus ein Dorn im Auge sind. Sie wollen genau wissen, was hinter den Kulissen abläuft. Auch hatten wir über Jahre hinweg sehr enge Beziehungen zu Russland, enger als die meisten anderen europäische Staaten. Und besonders der energiepolitische Bereich interessiert natürlich die USA.
Es geht also um wirtschaftspolitische Interessen?
Ja, der aktuell wichtigste Grund ist die herausragende Rolle, die Deutschland in der Bewältigung der internationalen Finanzkrise spielt. Da wollen die Amerikaner schon im Vorfeld wissen, was Frau Merkel und Herr Schäuble da aushecken.
Haben wir eigentlich Erkenntnisse darüber, welche Informationen von Frau Merkels Handy abgehört wurden?
Ich gehen davon aus, dass es um die Inhalte geht. Denn Kontaktdaten, also die Metadateien, die braucht man für Profile nach dem alten nachrichtlichen Prinzip. Also um zu wissen, wer kennt wen, wer kommuniziert mit wem. Das weiß man bei Frau Merkel. Bei ihr geht es ganz ganz eindeutig um die Gesprächsinhalte.
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