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Jenseits von Mottram HallGeh heim, Favorit!

■ Von lauter Geheimfavoriten und dem deutschen Topfavoriten aus Tradition

Alle haben sie jetzt schon einmal gespielt, zum Teil sogar schon zweimal. Turnierfavorit Deutschland und alle 15 Geheimfavoriten. Der Geheimfavorit Kroatien ist nach seinem derbe drögen Auftritt gegen die Türken noch etwas geheimer geworden und hat sich mit dem Gefasel von „Soldaten in kurzen Hosen“ längst auf niedrigstes Matthäus-Niveau begeben. Frankreich, als einziger EM- Starter mit komplett defensiver Taktik, ist erfolgreich, aber häßlich. So wie sonst Deutschland.

Das ist Horst EVERS

Sein Spieler: Dieter Eilts. Weil er sonst immer in den Werder- Farben spielt.

Sein Team: Bulgarien. Weil sie in den Werder-Farben spielen.

Europameister 96: Holland. Weil man nicht immer Weltmeister werden muß.

Kann man einem Franzosen etwas Gemeineres sagen als: „Ihr seid wie sonst die Deutschen“? Kaum.

Der Engländer ist eh nur noch deprimiert, würde sich am liebsten, wie normalerweise, wenn er schlechte Laune hat, Hooligan nennen und alles kaputtschlagen, macht es aber nicht, aus Angst, dann ißt nie wieder einer sein Rindfleisch. Statt dessen läßt er nur Gascoigne weiter als Botschafter des britischen Wahnsinns über das Spielfeld stampfen, nach dem Motto: Bekloppte Rinder in kurzen Hosen.

Die Portugiesen spielen schön. Das liegt an der Sprache. Das Verständnis bei den Portugiesen auf dem Platz ist fast brasilianisch. Sollte es einem eiligst zusammengestellten Forscherteam der Portugiesen noch gelingen, die genaue Position des gegnerischen Tores herauszukriegen und ihr Wissen an die Mannschaft weiterzugeben, wären sie der neue, absolute Geheimfavorit für dieses Turnier.

Italiens Schwachpunkt ist die Abwehr. Das kann doch eigentlich gar nicht sein. Nichts ist mehr, wie es einmal war. Immerhin konnte Italien die Frage der Ehre für sich entscheiden und mit all seiner Routine noch einmal im Duell um die europäische Mafia-Vorherrschaft den jungen, aufstrebenden Russen zeigen, wo der Hammer hängt.

Holland beeindruckt vor allem durch seine mitgebrachte Kapelle, die, laut Béla Réthy, ja „einen gar nicht so schlechten Jazz“ spielt. Oha, wenn die Holländer so richtig losjazzen und „we are the champions of the world“ im wilden Freestyle improvisieren, hat man schon Angst, daß die Europameisterschaft für sie nur in einer großen Enttäuschung enden kann. Mein Turnierfavorit sind sie aber trotzdem. Man muß ja nicht immer, bei jedem Turnier, Weltmeister werden. Es gibt Wichtigeres im Leben, zum Beispiel Deutschland schlagen. Um das zu schaffen, müssen sie diesmal mindestens ins Halbfinale, und selbst wenn sie dann das Finale verlieren sollten, wären sie immer noch Europameister ehrenhalber, zumindest zu Hause.

Bleibt von den Top-Geheimfavoriten noch Spanien, das an sich eine ganz gute Mannschaft hat, aber im Viertelfinale wohl auf Holland trifft, wo es einfach nicht dieselbe Wir-müssen- Deutschland-noch-eins-drüberziehen-Motivation hat.

Ach ja, Bulgarien, wenn Stoitchkow nicht der Gesprächsstoff ausgeht, vielleicht ...; Dänemark, warum nicht? Türkei, man hat schon Pferde kotzen ...; Tschechien, Schweiz, Rußland, wenn die einen guten Tag erwischen; Schottland, jetzt wird's albern; Rumänien, ist ja nun leider extrem unwahrscheinlich geworden ...

Na gut, der eigentliche Favorit bleibt Deutschland, aus Tradition. Aber wenn Rußland am Sonntag gewinnen sollte, vielleicht einfach nur mal so, eben nur so aus Scheiß? Dann, ja dann könnte es am Mittwoch schon für Deutschland heißen: Geh heim, Favorit! Horst Evers

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