■ Glosse: Geh doch erst mal arbeiten!
Früher, als die Welt noch besser geordnet war – in St. Pauli und Bayern, in Kopf und Hand, links und rechts, Denken und Handeln –, wurden Künstler, Studenten und Politiker, also Kopf- und Phantasiearbeiter, von selbstbewußten Arbeitern gern als lebensferne Nichtsnutze beschimpft. Auch wenn letztere ihre Hände in erster Linie zum Heben des Glases benutzten. Ein Standardspruch, mit dem Linke, beschimpft wurden, hieß: „Geh doch erst mal arbeiten!“ Denn wer raucht, statt zu schwitzen, wem der Kopf weh tut statt die Arme, wer unsichtbare Gedanken spinnt, statt sichtbare Sachen zusammenzusetzen, kann irgendwie kein nützliches Mitglied im Verein der Volks- und Solidargemeinschaft sein. (Es sei denn, er sagt anderen, was sie zu tun haben.) Richtige Arbeit ist echte Arbeit, und Arbeit macht frei – wenn sie anstrengend ist. In der Arbeit entäußert sich das Bewußtsein, verwirklicht sich gar und findet dann zu sich selbst, wußte schon Hegel.
Inzwischen ist allerdings das, was lange Zeit als echte und ehrliche Arbeit galt, Luxus. Für den Staat ist es jedenfalls weit billiger, Künstler und Philosophiestudenten zu finanzieren als etwa die ehrliche Maloche im Bergbau oder jetzt gerade in der Rindfleischindustrie. Realitätsfern halten jedoch auch Politiker weiterhin am Mythos der ehrlichen Handarbeit fest.
Lech Walesa zum Beispiel hat gestern seine alte Stelle als Elektriker auf der vom Konkurs bedrohten Danziger Werft wieder angetreten. Beschützt von zwei Leibwächtern, fuhr er in schwarzer Limousine zur Frühschicht. Seine Rückkehr sei „kein Vergnügen“, so Walesa. Weil ihm keine Pension zustehe, müsse er jetzt von eigener Hände Arbeit leben. Besonders schön: Da könne er „sehen, wie schwer das Leben für einen polnischen Arbeiter ist“. Schwer allerdings sei die neue Arbeit mit seinen sonstigen Verpflichtungen (tausend Vortragsreisen etc.) zu verbinden. „Muß noch mit meinem Meister vereinbaren, ob ich einmal in der Woche Urlaub bekomme“, so der volksnahe Expräsident. Richtige Arbeit ist echter Urlaub. Detlef Kuhlbrodt
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