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Gegen Maulkorb-Urteil

■ Behinderte übergeben Rita Süssmuth aus Protest gegen Richter 238.000 Unterschriften

Bonn (taz) – Die Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung hat mit rund 238.000 Unterschriften gestern in Bonn gegen das Kölner Maulkorb-Urteil protestiert. Der Bundesvorsitzende Günter Jasper forderte bei der Übergabe der Papierbögen an Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth ein Antidiskriminierungsgesetz, das das Benachteiligungsverbot im Grundgesetz in die Praxis umsetzt.

Im Januar hatte das Oberlandesgericht Köln einem Nachbarn recht gegeben, der sich durch das Sprechen und Lachen geistig behinderter Menschen im angrenzenden Garten belästigt fühlte. Die Bewohner dürfen sich fortan im Sommer nur noch zu bestimmten Zeiten in ihrem eigenen Garten frei bewegen und artikulieren.

Die Lebenshilfe kritisiert besonders die Urteilsbegründung. Die Richter sprächen von einem „besonders hohen Lästigkeitsfaktor“ der Äußerungen der behinderten Bewohner. Maßgeblich für das Urteil seien weniger Dauer und Lautstärke als vielmehr die Art der Geräusche. Eine Verfassungsbeschwerde des Landschaftsverbandes Rheinland wurde vom Bundesverfassungsgericht aus formalen Gründen zurückgewiesen, inhaltlich setzten sich die Verfassungsrichter mit dem Urteilsspruch nicht auseinander.

„Uns bleibt nach dem Ausschöpfen des rechtlichen jetzt nur noch der politische Weg“, sagte Peter Dietrich, Jurist bei der Lebenshilfe. Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth sprach bei der Annahme der Unterschriften von einer Verpflichtung der Politik: „Manches Urteil des Bundesverfassungsgerichts wäre nicht nötig gewesen, wenn wir vorher gehandelt hätten.“ Durch das Kölner Urteil klafften zwischen Verfassung und Wirklichkeit Welten auseinander. „Wir brauchen ein Antidiskriminierungsgesetz, weil auch die Verfassung Bewußtsein schafft.“

Die Unterschriften sollen jetzt an den Petitionsausschuß des Bundestages weitergeleitet werden. Cornelia Fuchs

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