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Geflügelpest in Brandenburg und BerlinIm Würgegriff der Vogelgrippe

So schlimm war es wohl noch nie: In Brandenburg wurden schon 140.000 Nutzvögel getötet, jetzt droht die landesweite Stallpflicht.

Erwischt es ihn als nächstes? Foto: IMAGO / imagebroker

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Claudius Prößer aus Berlin

taz | Die Vogelgrippe hat die Region weiter fest im Griff. Brandenburgs Landwirtschafts- und Umweltministerin Hanka Mittelstädt (SPD) schließt nun auch eine landesweite Stallpflicht für Geflügel nicht mehr aus, möglicherweise noch in dieser Woche. Wegen der „sehr dynamischen Entwicklung“ bei der Ausbreitung der Krankheit werde man das wohl mit den Landkreisen entscheiden, sagte sie am Dienstag. Noch am Montag hatte sie einer landesweiten Stallpflicht eine Absage erteilt.

Um die Ausbreitung der hochpathogenen Aviären Influenza H5N1 einzudämmen, wurden in diesem Herbst laut Mittelstädts Ministerium bis Dienstagmittag schon rund 140.000 Tiere in Zuchtbetrieben getötet, darunter 80.000 Enten und Gänse, 50.000 Hühner sowie 6.000 Puten. Bei diesen Zahlen dürfte das Ausmaß des bislang größten Vogelgrippeausbruchs 2016/ 2017 bald überschritten werden. Damals wurden insgesamt 155.000 Tiere in Brandenburg getötet. Bei Nutztieren wird die Vogelgrippe auch als „Geflügelpest“ bezeichnet.

In Berlin wird aktuell noch nicht über die „Aufstallungspflicht“ nachgedacht, bei der Züchter und Halter ihre Vögel in geschlossene Räumen verbringen oder zumindest Käfige und Volieren mit Planen gegen den Kontakt zu Wildvögeln abschirmen müssen. Wie eine Sprecherin der zuständigen Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz betonte, sind die Bezirke für solche Anordnungen zuständig. Ihr seien aber keine solchen Bestrebungen bekannt.

Im Zoo und im Tierpark hat man allerdings prophylaktische Maßnahmen ergriffen und Vögel wie Pelikane und Störche vorzeitig in die Winterquartiere gebracht. Komplett lasse sich der Kontakt zu Wildvögeln aber nicht verhindern, sagte Zoo-Tierarzt Andreas Pauly. Gerade im Zoo mit seiner Nähe zu den Gewässern des Tiergartens und zum Hardenbergplatz, wo viele Tauben und Krähen lebten, sei das kaum zu gewährleisten.

Ein Superspreading droht

Derk Ehlert, Wildtierexperte in der Senatsumweltverwaltung, rät den BerlinerInnen dringend, vorerst auf das Füttern von Wildvögeln zu verzichten: „Das Virus ist hochpathogen, hat aber zum Teil lange Inkubationszeiten.“ Konzentrierten sich die Tiere beim Füttern in großer Zahl an einem Ort, könne das zum „Superspreader-Event“ werden.

Laut Ehlert sind nicht alle Vogelarten gleich sensibel für das Virus – die Kraniche, von denen etwa im Rhinluch schon an die 2.000 tot eingesammelt wurden, haben offenbar besonders wenig Glück. Dagegen ist Ehlert von Fällen etwa bei Stadttauben zum jetzigen Zeitpunkt noch nichts bekannt. „Das muss aber nichts heißen“, räumt er ein.

In Bezug auf die Verbreitungswege der hochansteckenden Virusvariante gibt die Biologin Silke Sorge vom Verein Wildtierschutz Deutschland vor allem der industriellen Geflügelzucht Schuld. Die These des Friedrich-Löffler-Instituts (FLI), dass Zugvögel die Viren aus Südostasien eintrügen, sieht sie mit Skepsis.

„Es braucht einen gewaltigen Spagat, um einen solchen Zugweg zu konstruieren – und dann auch mit der lebensbedrohlichen Variante infizierte Vögel, die gesund genug sind, diesen zu überstehen“, so Sorge. Sie macht die vielerorts übliche – in Deutschland verbotene – Impfung für das Entstehen stark pathogener Varianten verantwortlich: Geimpftes Geflügel erkranke nicht, produziere aber noch Viren und scheide sie aus. „Unter diesen Bedingungen konnten in geimpften Vögeln mehrere Vogelgrippeviren aufeinandertreffen und zum ‚Supervirus‘ mutieren.“

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