Geflüchtete bei Olympia: Botschafterinnen auf dem Rad
Die Schwestern Fariba und Yulduz Hashimi repräsentieren beim olympischen Straßenrennen das untergegangene Afghanistan und fahren vorneweg.
Was bei den großen Radrennen ein wenig aus der Mode gekommen ist, feierte bei den olympischen Spielen ein fast schon rührendes Comeback. Da fuhren Sportlerinnen, die keine Chance auf den Sieg hatten, früh nach vorne weg, um ihre Farben zu zeigen. Seit im Profizirkus oft von Anfang an mit finaler Rennhärte gefahren wird, gelingen diese Ausreißversuche immer seltener. Zweck der Attacken war oft nicht mehr, als das Trikot mit den Sponsorennamen für ein paar Minuten ins Fernsehen zu bringen.
Beim olympischen Straßenrennen gibt es keine Sponsorentrikots. Aber Botschaften gibt es sehr wohl. Jene, die vom Trikot mit den schwarz-rot-grünen Streifen ausgeht zum Beispiel, mit dem die Schwestern Fariba und Yulduz Hashimi ins Rennen gegangen waren. Es waren die Farben des alten Afghanistans, die sehr lange an der Spitze des Feldes zu sehen waren.
Stundenlang, über 100 der 158 Kilometer des Rennens, gehörten die Hashimis zur Spitzengruppe, und als das Feld gut 50 Kilometer vor dem Ziel Paris erreichte, wo Hunderttausende am Straßenrand auf die Radlerinnen warteten, da war Fariba immer noch vorne zu finden. Nun erst übernahmen die Favoritinnen das Geschehen und lieferten sich auf den drei mörderischen Runden mit dem harten Anstieg am Montmartre ein sehenswertes Ausscheidungsrennen.
„Hatte Angst um mein Volk“
Für die 24-jährige Yulduz Hashimi war es zu schwer, sie hat das Rennen nicht beendet, Fariba, ihre drei Jahre jüngere Schwester, wurde am Ende 75. Gewonnen hat die US-Amerikanerin Kristen Faulkner vor der niederländischen Altmeisterin Marianne Vos und Belgiens Goldhoffnung Lotte Kopecky. Die Geschichte der Schwestern aus Afghanistan mag darüber in den Hintergrund geraten sein, in Vergessenheit geraten sollte sie nicht.
Da ist schon mal das Trikot mit den drei Farben. Die haben die Taliban nach ihrer Rückkehr an die Macht von allen nationalen Symbolen verbannt. Es sind die Farben des untergegangenen Afghanistans. Für dieses Land treten die Hashimis an. Bei einem Medientermin vor dem Rennen erzählt Fariba davon, wie sie in Afghanistan heimlich mit dem Radfahren begonnen hat – denn ihre Familie sollte davon nichts mitbekommen. Und wie sie angefeindet wurde, wenn sie in ihrer Heimatprovinz Faryab an der Grenze zu Turkmenistan mit ihrer Schwester trainiert hat. Bisweilen sei gar mit Steinen auf sie geworfen worden.
Und als die Taliban 2021 an die Macht zurückgekehrt sind? „Ich hatte nicht nur Angst um mich selbst“, sagt Fariba Hashimi, ich hatte Angst um mein Volk, ich hatte Angst vor allem.“ Sie wusste ja, was geschehen war, als die Taliban zum ersten Mal das Land unter ihr Joch gebracht hatten. „Sie haben den Frauen alles genommen, Schulbildung, Sport, alles.“
Dazwischen lag die Flucht. Über Kontakte in der Radsportszene gelang es den Schwestern, einen Platz in einem italienischen Evakuierungsflug zu bekommen. Ihre Familienangehörigen blieben in Afghanistan, während sie im Exil weiter Sport getrieben haben. Später hat der Internationale Radsportverband im schweizerischen Aigle die Hashimis unter seine Fittiche genommen. Er betreibt dort das World Cycling Centre, das Athletinnen und Athleten fördert, die nicht aus den klassischen Radsportnationen kommen. In dessen Team nehmen sie am Rennbetrieb teil.
Meisterin trotz Sportverbot für Frauen
In Paris wird Fariba Hashimi als afghanische Meisterin vorgestellt. Auch diese Meisterschaft hat in der Schweiz stattgefunden. Über 50 Radfahrerinnen, Geflüchtete allesamt, kamen aus den verschiedensten Ecken der Welt nach Aigle, um gegeneinander zu fahren. Und so gibt es nun mit Fariba Hashimi eine afghanische Meisterin, obwohl Frauensport in Afghanistan nicht möglich ist.
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, was die kritische Haltung den Taliban gegenüber betrifft, hat das Internationale Olympische Komitee gleich zu Beginn der Spiele klargestellt, dass es keinerlei Beziehungen zu den Herrschern in Afghanistan unterhält. Das Nationale Olympische Komitee, das vor 2021 im Amt war und dessen Funktionäre im Exil leben, bleibt der einzige Ansprechpartner des IOCs – mit den alten Nationalfarben.
Mit denen posierte das afghanische Team nach dem Rennen im Zielraum zu Füßen des Eiffelturms. Ein Erinnerungsfoto, das den Mullahs in Afghanistan gewiss nicht gefällt. Als dann David Lappartient, der Präsident des Internationalen Radsportverbands, Fariba Hashimi vor das Siegerpodest bat, um sie besonders zu würdigen, da rückte die Geschichte der Hashimi-Schwestern noch einmal kurz in den Vordergrund. Der Rest des Radsporttags gehörte dann den Medaillengewinnerinnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr