Gefangenenaustausch im Nahen Osten: Häftling Nummer 473
Ahlam Tamimi ist eine von 1027, die im Tausch für Gilad Schalit freigelassen werden soll. Jetzt soll sie abgeschoben werden – in ihrem Heimatdorf wird dennoch gefeiert.
![](https://taz.de/picture/245121/14/ahlam_tamimi.jpg)
NABI SALEH taz | Es ist die Nummer 473 auf der Liste der palästinensischen Häftlinge, die im Tausch für den israelischen Soldaten Gilad Schalit auf freien Fuß kommen sollen, die Shvuel Schijveschuurder keine Ruhe lässt.
Am 9. August 2001 verlor Schijveschuurder seine Eltern und drei Geschwister bei einem Bombenattentat. Die Nummer 473 auf der Liste ist Ahlam Tamimi. Sie hatte den Attentäter nach Jerusalem gebracht und vor dem Sbarro-Restaurant abgesetzt, wo er sich kurze Zeit später selbst in die Luft sprengte. 15 Menschen starben damals. 130 wurden verletzt.
Kurz vor Mitternacht entschieden die Richter, eine Reihe von Anträgen gegen den Geiselhandel, darunter auch der von Schijveschuurder, abzulehnen. "Binde ein schwarzes Band an die Flagge auf deinem Haus", hatte er noch während der Verhandlung dem Vater der israelischen Geisel, Noam Schalit, zugerufen. "Heute ist ein Tag der Trauer."
Ahlam Tamimi gehört zu den Häftlingen, die aufgrund der Schwere ihrer Verbrechen ins Exil abgeschoben werden. In ihrem Heimatdorf Nabi Saleh wird trotzdem gefeiert. Eine Woche lang mit Debka-Tänzern und Ansprachen, mit Empfängen und einem riesigen Buffet, das die Leute aus dem kleinen Dorf herrichten, weil drei Häftlinge aus Nabi Saleh das Gefängnis verlassen. Alle drei gehören der Familie Tamimi an.
"Sie ist eine witzige Frau"
Ahlams Bild hängt zusammen mit ihren beiden Cousins Nisar und Ahmad an der Wand neben dem Festzelt. "Sie ist eine witzige Frau", beschreibt sie Machmud Tamimi, ein dritter Cousin Ahlams und der Bruder von Nisar. Während des Kriegs von 1967 flohen die Eltern Ahlams nach Jordanien. Erst Ende der 90er Jahre kehrte die Familie zurück. "Sie ist klug und charismatisch", sagt Machmud bewundernd. Als sie kurz vor dem Abitur stand, besuchte Machmud die Familie in Jordanien. "Sie hatte nur ein Bild in ihrem Zimmer, das von Nisar."
Nisar Tamimi saß damals schon im Gefängnis. Zusammen mit zwei Mitgliedern einer Fatah-nahen Terrorgruppe hatte er einen Siedler erstochen. Für Ahlam wurde er damit zum Helden. Obwohl sich die beiden nur dreimal physisch begegneten, heirateten sie im Gefängnis.
"Die Ehe war eine Herausforderung für die Gefängnisbehörde", erklärt Machmud. "Sie sollte signalisieren: ,Wir kommen hier wieder raus.' Ahlam war zu 16-mal lebenslänglicher Haftzeit verurteilt worden. Die beiden Eheleute hätten sich mit der "Hochzeit auf dem Papier" auch selbst Mut machen wollen.
Sie bereut nichts
Auf absehbare Zeit werden sie nicht zusammenkommen, denn für entlassene Häftlinge gelten strenge Reisebeschränkungen. Ahlam Tamimi wird, solange Israel die Grenzen kontrolliert, nicht ins Westjordanland reisen dürfen.
Zum Zeitpunkt des Attentats war sie gerade 20 Jahre alt, stand im letzten Semester an der Birzeit-Universität, wo sie Journalismus studierte, und war politisch aktiv im Studierendenrat als Vertreterin der Fatah. Erst nach Beginn der Intifada im September 2000 sei sie radikaler geworden, berichtet ihr Cousin Machmud. Die Hamas rekrutierte die junge Frau, die damals schon für einen lokalen Fernsehsender als Journalistin arbeitete.
"Sie hat niemanden getötet", versucht Machmud ihr Zutun zu dem blutigen Attentat herunterzuspielen. "Sie half nur bei der Organisation." Wer in Wahrheit verantwortlich für den Tod der Menschen im Sbarro-Restaurant ist, sei nicht Ahlam, es seien die Besatzer. "Sie sind in ein Land gekommen, das nicht ihnen gehört." Dass Ahlam den militanten Kampf gegen Israel wieder aufnehmen könnte, glaubt Machmud nicht. "Sie hat genug für die Palästinenser geopfert."
Ahlams deutlich ältere Schwester Iftichar, die in Nabi Saleh verheiratet ist, gibt sich weniger überzeugt davon, dass der Kampf für Ahlam vorbei ist. "Solange die Besatzung andauert, ist es immer möglich, dass sie ihre militanten Operationen wieder aufnimmt", sagt die 51-Jährige. In einem Interview, das ein israelischer Fernsehsender im Gefängnis mit ihr führte, zeigte Tamimi keinerlei Zweifel über ihre Tat. Sie bereue nichts, sagte sie. "Warum sollte ich?"
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Jens Bisky über historische Vergleiche
Wie Weimar ist die Gegenwart?
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird