: Gefahr aus dem Schiffsbauch
95 Prozent aller Importe in die USA kommen per Schiff ins Land – in jährlich sechs Millionen Containern. Nach Ansicht der Geheimdienste bieten diese Behälter ideale Verstecke für Sprengstoff und die Seehäfen leichte Ziele für Terrorangriffe
aus Washington MICHAEL STRECK
Terroristen schmuggeln eine Atombombe in einem Container in den Hafen von Baltimore. Sie zünden die Bombe und zerstören die Stadt. Dies ist die Geschichte in dem Hollywood-Film „The Sum of All Fears“, der vor wenigen Wochen in den USA in die Kinos kam. Kurz nach dem Filmstart sah sich die US-Zollbehörde zu einer Pressekonferenz gezwungen, um der nervösen Öffentlichkeit zu versichern, dass ein solches Szenario unwahrscheinlich sei und es ausreichend Abwehrmaßnahmen gebe. So seien Zollbeamte mit Detektoren ausgestattet, die radioaktive Stoffe aufspüren könnten.
Längst hat sich bei US-Geheimdiensten, Polizei und Zoll die Erkenntnis durchgesetzt, dass große unübersichtliche Seehäfen wie Los Angeles, New York oder Miami ein viel größeres Risiko für Terroranschläge darstellen als Flughäfen. US-Transportminister Norman Mineta nannte daher die Verbesserung der Hafensicherheit eine seiner vordringlichsten Aufgaben.
Anders als auf Flughäfen ist es bislang unmöglich, den Schiffstransport effektiv zu kontrollieren. Sechs Millionen Container werden jedes Jahr in den USA umgeschlagen. Inspektoren von Zoll und Küstenwache überprüfen jedoch nur rund drei Prozent von ihnen. Auf Grund der Masse und der vielen unterschiedlichen Frachtpapiere pro Container ist es enorm schwierg, Risikofracht zu identifizieren. So blüht der Schmuggel mit Drogen, Waffen und Immigranten. Im Mai bestätigte der Geheimdienstausschuss des US-Senates, dass 25 mutmaßliche islamische Extremisten über Containerhäfen in Kalifornien und Florida ins Land geschleust wurden. Sie konnten unerkannt untertauchen. Von ihnen fehlt jede Spur.
CIA und FBI fürchten, dass Terroristen es auf die Hafeninfrastruktur abgesehen haben, Schiffe in Waffen verwandeln und Öltanker in unmittelbarer Nähe von Raffinerien in die Luft sprengen. Eine Studie des Brookings Institute in Washington kommt zu dem Ergebnis, dass gezielte Bombenanschläge auf Hafenanlagen Schäden bis zu einer Billion US-Dollar verursachen und weite Bereiche der wirtschaftlichen Infrastruktur lahm legen könnten.
Solche Szenarien sind keine Hirngespinste, wie der Anschlag auf das Kriegsschiff USS Cole in Jemen im Oktober 2000 gezeigt hat. Ein Selbstmordkommando rammte das Schiff mit einem Schnellboot voller Sprengstoff, 17 Seeleute starben. Und als man nach dem 11. September Tankern aus Angst vor Anschlägen die Einfahrt in US-Häfen verweigerte, wurden Benzin und Gas knapp. Da Raffinerien heute just in time arbeiten und kaum über Lagerkapazitäten verfügen, reichen einige verhinderte Tankladungen, um eine regionale Versorgungskrise auszulösen.
Terroristen wissen, dass sie den Nerv der US-Wirtschaft über Häfen besonders treffen können. 95 Prozent aller internationalen Güter kommen über Seehäfen in die USA. Der Seehandel hat einen Anteil am Bruttoinlandsprodukt von 25 Prozent. „Seehäfen sind die Megaknoten im Welthandel. Kriminelle wissen, wie sie die Schwächen im globalen Handelssystem ausnutzen“, sagt Steve Flynn, Sicherheitsexperte vom Council on Foreign Relations. So habe sich eine organisierte Kriminalität um die Hafenwirtschaft gebildet, die in den USA allein über Cargo-Diebstahl jährlich einen Schaden von 12 Milliarden Dollar anrichtet. Terroristen könnten diese Strukturen für ihre Anschläge nutzen.
Nach Ansicht von Flynn muss jemand nur glaubhaft das Gerücht verbreiten, ein Container mit Sprengstoff oder Biowaffen sei in einen US-Hafen gelangt. Alle Container zu überprüfen, würde ein halbes Jahr dauern. Der Seehandel käme weitgehend zum Erliegen – mit heftigen Folgen für die Volkswirtschaft.
Die Küstenwache will daher verdächtigen Schiffen die Einfahrt in einen US-Hafen verweigern. Schiffe müssen nun vier Tage vor dem gewünschten Einlaufen über Fracht und Crew informieren. US-Inspekteure wollen zudem bereits in für die USA wichtigen Auslandshäfen die Frachtpapiere überprüfen und versuchen, Risiko-Container heraus zu filtern. Das Vorhaben trifft jedoch in der Europäischen Union, die eine unterschiedliche Behandlung von Containerladungen aus betroffenen und nichtbetroffenen Häfen befürchtet, auf wenig Gegenliebe.
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