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Gefängnismauern in CannesFilme über Körper in Knästen

Cristina Nord
Kommentar von Cristina Nord

McQueen schaut genau auf die Körper und darauf, wie sie reagieren, wenn sie zuschlagen oder geschlagen werden.

Ein beliebtes Thema: Das Leben und Leiden hinter Gittern. Bild: ap

berraschend viele Filme spielen im Gefängnis. Pablo Traperos Wettbewerbsbeitrag "Leonera" zum Beispiel oder Nuri Bilge Ceylans "Üç maymun" ("Die drei Affen") und der Comeback-Film "Cztery noce z Anna" ("Vier Nächte mit Anna") des Polen Jerzy Skolomowski - in den beiden letzteren gehen die Figuren für Verbrechen in den Knast, die andere begangen haben. Die blinden Protagonisten in Fernando Meirelles "Blindness" werden in einer Anstalt zusammengepfercht, und "Hunger", das Spielfilmdebüt des britischen Künstlers Steve McQueen, spielt in einem nordirischen Gefängnis zu Beginn der 80er-Jahre, zu der Zeit, als die inhaftierten IRA-Mitglieder mit drastischen Mitteln darum stritten, als politische Gefangene anerkannt zu werden. Sie weigerten sich, Gefängniskleidung zu tragen, sie schmierten ihre Exkremente an die Wände ihrer Zellen, und als die britische Regierung hart blieb, begannen sie einen Hungerstreik, bei dem zehn Männer ums Leben kamen. Steve McQueen, bekannt von Kunstbiennalen, der documenta und als Tate-Preisträger, beschreitet mit "Hunger", dem Eröffnungsfilm der renommierten Nebenreihe "Un certain regard", einen unüblichen Weg. Meist nämlich zieht es die experimentell arbeitenden Filmemacher eher umgekehrt vom Kino zur Kunst, weil sie nicht in die Raster der Filmförderungen passen und in den Galerien und Museen mehr Geld verdienen.

Dabei tritt McQueens Kunstwollen in "Hunger" nicht hinter die Erzählung zurück. Im Gegenteil, er tilgt fast allen Plot, fast alle Psychologie und auch die historisch-politischen Eckdaten. Die ideologischen Positionen treten so in den Hintergrund zugunsten eines scharfen, hyperrealistischen Blicks auf das, was die Wärter und die Häftlinge im nordirischen Maze Prison miteinander tun. McQueen schaut frappierend genau auf die Körper und darauf, wie sie reagieren, wenn sie zuschlagen oder wenn sie geschlagen werden. Er schaut auf die Scheiße an den Wänden der Zellen, auf die Maden rund um die Hand eines Schlafenden, auf die blutigen Fingerknöchel des englischen Vollzugsbeamten, auf den Urin am Boden der Korridore, aber auch auf eine Schneeflocke, die vom Himmel fällt, während der Beamte sich eine Zigarettenpause gönnt. Man kann "Hunger" sicherlich den Vorwurf machen, manieristisch zu sein; aber dieser Manierismus wird aufgefangen durch die Konkretion des Kamerablicks und durch die Einsichten, die daraus folgen. In einer langen Sequenz etwa sprechen ein Priester und der radikalste der Häftlinge miteinander; die erste Einstellung dieses Gesprächs bleibt für circa acht Minuten ohne Schnitt; man begreift in dieser Zeit, dass hier zwei unversöhnliche Prinzipien miteinander ringen und was das kostet.

In einer anderen Szene nehmen die Häftlinge am Besuchstag Schmuggelgut in Empfang. Die Kamera ist unter einem Tisch und beobachtet, wie eine junge Frau etwas aus ihrer Vagina fischt. Ihr Freund greift danach und führt es in seinen Anus ein. Die junge Frau schmunzelt verhalten über diesen Austausch, der ersetzt und erweitert, was an einem anderen Ort der Sex der beiden wäre.

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Cristina Nord
Kulturredakteurin

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