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Gefängnis für die BiolehrerinEine erfundene Vergewaltigung

Das Landgericht Darmstadt verurteilt Heidi K. zu fünfeinhalb Jahren Haft wegen falscher Aussagen gegen ihren Kollegen. Ihr Opfer ist längst tot.

Die nun Verurteilte im April 2013 im Landgericht Darmstadt. Bild: dpa

DARMSTADT taz | Die Zerstörung einer Existenz ist nicht wiedergutzumachen. Dieses Fazit zog heute das Darmstädter Landgericht in seinem Urteil gegen Heidi K. Es verurteilte die suspendierte Biologielehrerin wegen Freiheitsberaubung zu fünfeinhalb Jahren Haft. Die heute 48-Jährige hatte ihren einstigen Sportkollegen Horst Arnold vor zwölf Jahren bezichtigt, sie vergewaltigt zu haben. „Erschreckend“, so hieß es in der Urteilsbegründung, sei das Fehlen eines wirkliche Motivs der Täterin.

„Die Justiz würde sich gern bei Herrn Arnold entschuldigen“, sagte Richterin Barbara Bunk, Vorsitzende am gleichen Gericht, das den Lehrer 2002 wegen Vergewaltigung fünf Jahre ins Gefängnis schickte. Im Laborraum eines Gymnasiums in Reichelsheim im Odenwald sollte er Heidi K. brutal zu Analsex gezwungen haben. Weil die Lehrerin alle Vorwürfe erfunden habe, erklärte ein Kasseler Gericht 2011 in einer Wiederaufnahme Arnold für unschuldig. Er starb ein Jahr später 53jährig an Herzversagen.

Wegen schwerer Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft saß die Lehrerin nun seit April auf der Anklagebank, getrant unter einer roten Langhaarperücke. Sie blieb bei ihrer Vergewaltigungsversion. „Objektive Beweise“ für oder gegen ein Verbrechen im Laborraum gebe es nicht, sagte Bunk. „Mosaiksteine“ bei der Urteilsfindung seien aber die zahllosen erfunden Geschichten gewesen, die Heidi K. über Jahrzehnte hinweg im Bekanntenkreis erzählte. 60 Zeugen hatten im Verfahren sämtliche ihrer Märchen zum Einsturz gebracht.

Beispielhaft rekapitulierte Bunk, dass Heidi K. im Prozess vorgegeben hatte, einem Freund nie begegnet zu sein, dem sie 1990 geschildert hatte, wie sie von ihrem damaligen Ehemann vergewaltigt worden sei. Erst als sich abzeichnete, dass dieser Freund in Darmstadt aussagen würde, erinnerte sich die Lehrerin an ihn: als einen angeblichen früheren Stalker. Er habe das von Heidi K. mit „engelsgleicher Stimme“ erzählte Märchen damals geglaubt, berichtete der Zeuge. „Es ist unmöglich“, sagte Bunk am Freitag, „einen vermeintlichen Stalker zu vergessen.“

In ihren Schilderungen von Arnolds angeblichem Übergriff hatte sich die Lehrerin 2001 gegenüber Kolleginnen tagelang gesteigert, aus einer verbalen Attacke war ein Begrabschen und am Ende eine Vergewaltigung geworden. „Erwachsene haben gelernt zu lügen“, sagte die Vorsitzende. Aber in ihrem Hang zum Dramatisieren habe Heidi K. nicht mehr gewusst, was sie zuvor erzählte. „Ichzentriertheit im Erfinden tragischer Geschichten“, nannte es ein Gutachter im Prozess.

Der von der Verteidigung angekündigten Revision wird von Prozessbeobachtern allenfalls Einfluss auf das Strafmaß beigemessen. Auch ihren Beamtenstatus verliert Heidi K., die einen 18-jährigen Sohn hat. Das Urteil nahm sie ebenso regungslos zur Kenntnis wie sie den Prozess verfolgt hatte. Übrig bleiben zwei zerstörte Leben.

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10 Kommentare

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  • Bei manchen Gerichten hat man den Eindruck, sie würden würfeln, oder Karten legen, um zu einem Urteil zu kommen.

    Wenn Richterin Bunk jetzt behauptet, es sei "unmöglich einen vermeintlichen Stalker zu vergessen", liegt sie ebenfalls falsch.

  • G
    Gastname

    „Die Justiz würde sich gern bei Herrn Arnold entschuldigen“

     

    Und das hat sie dann nicht getan, als sie ihn 2011 freisprechen musste? Weil damals seine Unschuld noch nicht wie wohl heute "bewiesen" war?

  • E
    Entschleunigter

    "Die Zerstörung einer Existenz ist nicht wiedergutzumachen. Dieses Fazit zog heute das Darmstädter Landgericht in seinem Urteil gegen Heidi K. Es verurteilte die suspendierte Biologielehrerin wegen Freiheitsberaubung zu fünfeinhalb Jahren Haft." Ähem - es war aber doch eher das Gericht, welches den armen Mann der Freiheit beraubt und ihn in den Knast gesteckt hat... oder nicht?

    • @Entschleunigter:

      Existenz mobbing ist leider immer öfter heutzutage , gang und gebe .

      Als eine psych. Amtsärztin + Co. in Berlin-Rkd. die mit den Worten " wissen Sie wer ICH bin , ICH muß sie einweisen " die Wohnung betrat ohne sich selbst auszuweisen , wer sie ist und was der Grund sei , begann der innere Stress , die Wohnungsschlüssel aus meiner Hosentasche ziehend versuchte sie sich diese anzueigenen , weil sie dachte ich wolle sie Einsperren , als ich mich unter Schock darauf in Notwehr wehrte , war noch nicht abzusehen das ich ein Halbes Jahr später von Amtswegen in Früh-Rente geschickt werde , wenn das Schule machen würde hätten wir in " D " bald keine Arbeitslosen mehr . :-))) ,

      ( Verbesserungsvorschlag mit Ironie )

      Den " Irren ist menschlich " so auch der Buchtitel an dem diese Übereifriege Beamtin Chr. T..... als Buchautorin auch noch mitgeschrieben hat . ( Heutzutage bereits beide pensioniert )

      Herzlichsten Dank also für den Dauerurlaub auf Rentenbasis wegen Arbeitsunfähigkeit , wenn man mit 45 Jahren was neues anfangen will ...

      Der sicherste Arbeitsplatz in diesen unseren Lande ist und bleibt die Psychiatrie , denn nirgend wird soviel gelogen wie dort . Die ( sog. ) Patienten die Arbeiten wollen , wird unterstellt sie seien " manisch ", wenn sie dann keine Lust mehr haben , dann sind diese halt " depressiv ". ( DSM-IV ) ICD 10 F 31 , Bipolare Störung , Schizophrenie u.s.w. ...

      Nirgends geht man schneller in Rente als mit einem " Gutachten " eines Amtspsychiaters der einem totale Weltfremdheit bescheinigt , wenn man mit ( 45 Jahren ) noch an berufliche Tätigkeiten interessiert ist ; das Ganze ist selbsterlebt begann vor ( seit ) 10 Jahren und bisher niemand hat über diese Abarten der Arbeitsverhinderung und Stigmatisierung berichtet.

      Wer ist wohl der/die Verrückte ???

    • 7G
      774 (Profil gelöscht)
      @Entschleunigter:

      Richtig, es war das Gericht. Doch die Obrigkeit darf in diesem Land der "Meinungsfreiheit" nicht kritisiert werden.

  • M
    Michael

    Jetzt bin ich ratlos. Immerhin habe ich jahrelang (vor allem aus der TAZ) gelernt, das Frauen in solchen Fällen IMMER die Wahrheit sagen. Egal, was der Typ von wegen wegen "unschuldig" oder "weiß von nichts" blubbert.

    Was tu ich jetzt. Habt Ihr einen Rat für mich?

    • M
      Michel
      @Michael:

      Mein Rat: Einfach weniger PI-Nazinews lesen!

    • @Michael:

      Bleiben Sie einfach immer bei der Wahrheit!

  • A
    @Atalya

    Auch wenn nicht sonderlich wichtig, kleine Korrektur für Sie:

     

    "...contra reum"

  • 8G
    849 (Profil gelöscht)

    Die sollten lieber die Richter einsperren, die damals das Urteil gegen Arnold gegen allen Augenschein und in dubio contra reo fällten.