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Gefährdete Wis­sen­schaft­le­r:in­nenIn Freiheit leben und forschen

Vasil Navumau droht in Belarus eine Haftstrafe. Dank eines Fellowships kann der Soziologe mit seiner Familie in Deutschland bleiben und arbeiten.

Vasil Navumau forscht aktuell am Bochumer Center for Advanced Internet Studies Foto: Tim Kramer/RUB

Berlin taz | Vasil Navumau erinnert sich noch genau an den Tag, an dem er Belarus verließ: Am 11. August 2020, nur drei Tage nach Beginn der Demokratieproteste, beschloss der Soziologe, dass es für ihn in seiner Heimat nicht mehr sicher war. Ein Student seines Kollegen war verhaftet worden, zudem engagierte sich Navumau in einer Bürgerrechts-Initiative. Das war in der aufgeheizten Situation gefährlich genug, um ohne Vorwarnung verhaftet zu werden. Dass er heute in Deutschland leben und forschen kann, verdankt er einem dreijährigen Fellowship der Philipp Schwartz-Initiative.

Nur ein Drittel der Weltbevölkerung lebt einem Land, in dem die Wissenschaftsfreiheit gut bis sehr gut geschützt ist. Neben Ländern wie Syrien, Myanmar, Nicaragua und Eritrea rangieren mit der Türkei und Belarus auch zwei europäische Länder auf den letzten Plätzen des Academic Freedom Index.

Die Philipp Schwartz-Initiative ermöglicht es gefährdeten Wis­sen­schaft­le­r:in­nen mit einem zwei- bis dreijährigen Stipendium an einer deutschen Hochschule, ihre Forschung in Deutschland unter sicheren und freien Bedingungen fortzusetzen. Benannt ist die gemeinsame Initiative von Auswärtigem Amt und Humboldt-Stiftung nach dem österreichischen Pathologen Philipp Schwartz, der 1933 als Jude seine Professur in Frankfurt am Main verlor.

Passend zum Motto „Freiheit“ des Wissenschaftsjahres 2024 lädt die Humboldt-Stiftung mit dem Bildungsministerium zur Veranstaltungsreihe „Fragile Freiheit“, im Rahmen derer fünf Philipp Schwartz-Fellows von ihren Erfahrungen als geflüchtete Forschende berichten. Den Auftakt macht am Donnerstag Vasil Navumau an der Ruhr-Universität Bochum.

Repression durch das Regime

„Es war zwar schon immer schwierig, in Belarus unter freien Bedingungen zu studieren und zu forschen“, sagt Navumau der taz. Der 40-jährige Soziologe beschäftigt sich in seiner Forschung mit Digital Government und einer demokratischen Kommunikation zwischen Bevölkerung und Regierung. Doch seit den Protesten im Zuge der manipulierten Wiederwahl des Machthabers Aljaksandr Lukaschenka 2020 waren und sind neben Jour­na­lis­t:in­nen und Oppositionellen vor allem Stu­den­t:in­nen und Wis­sen­schaft­le­r:in­nen Opfer der Repressionen durch das Regime.

Im August 2020 konnte Navumau dank eines Forschungsstipendiums in Bochum nach Deutschland kommen und schnell seine Familie nachholen. Nach dem Ablauf seines Stipendiums ermöglichte es ihm die Philipp Schwartz-Initiative, zu bleiben. Aktuell forscht er am Bochumer Center for Advanced Internet Studies.

„Gute, unabhängige und kritische Wissenschaft kann nur unter freiheitlichen Umständen entstehen“, sagt Frank Albrecht von der Humboldt-Stiftung. Er zieht einen Bogen von der ursprünglichen Idee der Stiftung, exzellente Wis­sen­schaft­le­r:in­nen aus allen Nationen zu fördern, zur Gründung der Philipp Schwartz-Initiative im Jahr 2015. Seitdem hat die Initiative bereits rund 530 Fellows aus 26 Ländern unterstützt, die meisten von ihnen aus der Türkei, der Ukraine und Syrien.

„Kritische Geister“

Bis 2021 konnte die Initiative circa 50 hilfesuchende Wis­sen­schaft­le­r:in­nen pro Jahr unterstützen. Seit dem Umsturz in Afghanistan 2021 und der russischen Invasion der Ukraine 2022 sei der Bedarf um 100 bis zeitweise 200 Prozent gestiegen, so Frank Albrecht. „Forschende sind oft kritische Geister, Menschen, die sich nicht einfach mit Regierungsnarrativen zufrieden geben“, sagt Albrecht. Auch hätten sie oft eine Plattform und seien deshalb häufig mit die ersten, die von autoritären Regimen angegriffen würden.

Vasil Navumau hofft, irgendwann wieder in seine Heimat Belarus zurückkehren und dort zu einem demokratischen Wandel beitragen zu können. Doch in absehbarer Zukunft wird das nicht möglich sein; erst kürzlich begann gegen den Soziologen sowie 20 weitere Exil-Belarussen ein Prozess in Abwesenheit. Ihnen droht eine Haftstrafe von zwölf Jahren.

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