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Gefährdete Existenz

Hans-Joachim Dörings Studie zur DDR-Politik gegenüber der „Dritten Welt“ analysiert hintergründig das bürokratische und ökonomische Scheitern von Honecker & Co.

Warum engagierte sich die DDR in „Entwicklungsländern“? War Wirtschaftshilfe „Herzenssache“ für Staat und Volk und „internationale Solidarität“ wirklich ein Grundsatz? Dies sind die Fragen von Hans-Joachim Dörings Studie zur ostdeutschen Entwicklungshilfepolitik, die er am Beispiel von Mosambik und Äthiopien zu beantworten sucht.

Obwohl die DDR nie, wie behauptet, zu den ersten Industriestaaten der Welt gehörte, hatte sie doch innerhalb des Ostblocks den höchsten Lebensstandard und wurde in den Siebzigerjahren, als die Hallstein-Doktrin passé war, weltweit diplomatisch anerkannt und in die UN aufgenommen. Im Streben nach internationaler Anerkennung gab es Parallelen zur afrikanischen Befreiungsbewegung, zu „jungen Nationalstaaten“, die die DDR proklamatorisch unterstützte im Anspruch neuer, gerechter Wirtschaftspolitik. Einigen dieser Länder galt die DDR, zumal nach der von ihr 1975 mit unterzeichneten KSZE-Akte, als zuverlässig und solidarisch.

SED-Ökonomen erhofften sich kostengünstige Rohstoffbezüge und Devisen. War doch ihr Westhandel prekär defizitär, und im Handel mit Ländern des „nichtsozialistischen Währungsgebiets“ konnten Guthaben entstehen. Doch die Hoffnungen, eigene Interessen mit denen mancher Entwicklungsländer zum gegenseitigen Vorteil zu verbinden, scheiterten weitgehend: Nicht nur weil die DDR kaum souverän ohne Zustimmung der Sowjetunion agieren durfte, sondern vor allem weil das Politbüro die Lage der Partnerländer falsch einschätzte und misswirtschaftlich versuchte, deren Lebensstandard zu verbessern.

1977 erkennt die SED-Führung erstmals die Existenzgefährdung ihres eigenen Staates. Schulden wachsen, Zahlungsunfähigkeit droht. Die Gefahr abwenden sollen neue Akteure einer „Exportoffensive Entwicklungsländer“: Alexander Schalck-Golodkowski und der intelligente, auf internationalem Parkett wendige „Ausnahmegenosse“ Werner Lamberz. Sein Hubschrauberabsturz in der libyschen Wüste 1978 beendet jedoch diese Phase intensivierter Außenpolitik.

Dörings Buch enthält ausführliche (in der DDR vorwiegend geheim gehaltene) Zahlen zur Verschuldung oder zu Handelsvolumina, akribisch ausgewertete Staatsakten und Gespräche des Autors mit DDR-Politikern, die – neben Faksimiles von Stasi-Akten – zum Spannendsten der Studie gehören. Sie ist außerdem nicht ohne hintergründigen Humor geschrieben, wo es um Eitelkeiten, Animositäten und bürokratische Extravaganzen des Politbüros und der Stasi geht.

Fragen bleiben, wie Spenden der Bevölkerung, „gesellschaftlicher Kräfte“, in staatliche Bilanzen einflossen oder wie die afrikanischen Länder selbst mittlerweile die ihnen zugewandte Politik der DDR einschätzen.

Noch nicht aufgearbeitet ist das solidarische Handeln einzelner DDR-Bürgerinnen und -Bürger, die in afrikanische Länder entsandt waren. Das Buch will auch darüber zum Dialog anregen. CHRISTOPH KUHN

Hans-Joachim Döring: „Es geht umunsere Existenz. Die Politik der DDR gegenüber der Dritten Welt am Beispiel von Mosambik und Äthiopien“. Christoph Links Verlag, 352 Seiten, 38 DM

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