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Gefährdete Ein-Euro-Jobs"Die Menschen sind dankbar"

Zu Besuch bei sechs Hamburger Projekten, die durch die Streichung von Ein-Euro-Jobs gefährdet sind. In Dulsberg helfen Ein-Euro-Jobber alten Menschen und sich selber. In Wilhelmsburg schneidern sie Kostüme. In Steilshoop ist die Essenausgabe für Arme schon weg.

Im Pottkieker ist man mit 2,80 Euro dabei. Dafür gibt's ein komplettes Menü, Nachtisch inklusive. Bild: Frederika Hoffmann

HAMBURG taz | Mittagszeit in Dulsberg, einem armen Stadtteil Hamburgs. Im Flur vor der Stadtteilküche Pottkieker stehen vier Kisten mit Gemüse. Radieschen, Pilze, etwas welker Brokkoli. Eine Gruppe älterer Menschen steht davor, die Sachen verschwinden zügig in ihren Stoffbeuteln. Nur wer früh da ist, bekommt etwas ab.

Nebenan im Saal steht eine Schlange vor der noch geschlossenen Essenausgabe. "Es wäre schade, wenn es das hier nicht mehr gibt. Ich komme seit 13 Jahren her", sagt eine ältere Dame. Sie hält wie die anderen abgezählt 2,80 Euro in der Hand.

Dafür gibt es ein Menü mit Salat, Dessert und Getränk, zählt Küchenleiterin Susanne Feld stolz auf: "Das kriegen sie für das Geld woanders nicht." Sie führt durch die Küche. Einige der Ein-Euro-Jobberinnen haben frisch gebacken, gedeckten Apfelkuchen mit Puderzucker. Am Nebentisch wurden Salate geschnippelt.

Das Gemüse im Vorraum seien Reste der Zutaten, die die Hamburger Tafel liefert, erklärt Feld. 200 Essen werden gekocht, 70 Portionen in Wärmekisten an die Übernachtungsstätte Pik As für Obdachlose und einen Obdachlosentreff geliefert.

Susanne Feld und ihre Küchenfrauen haben dafür seit sieben Uhr früh gerackert, jetzt werden die riesigen Töpfe geschrubbt. "Die Arbeit macht Spaß", sagt Feld. Weihnachten waren sogar 500 Leute da. Sollte die Stadt die Küche schließen, "kämpfen wir bis aufs Blut".

Die Atmosphäre im Speisesaal ist freundlich. "Das muss Liebe sein", scherzt ein Alter, der einen Pudding geschenkt bekommt. Es gibt Spargel mit Kartoffeln und Schinken, davon ist mancher schon satt. "Ich nehm den Nachtisch immer eingepackt mit", sagt die Rentnerin Antje Hahn und tippt auf eine Plastikbox. So komme nichts weg.

Sie suche eine Haushaltshilfe, erzählt Hahn. Ihre frühere von einem Projekt namens Dimbali fiel im Februar einer ersten Kürzungswelle zum Opfer. Nun braucht sie eine neue, die "mal durchwischt, mal saugt". Ob sie das wegen der Knie nicht mehr könne? "Nein. Ich habe einen Lungenriss und oft Atemnot." Doch ihr vor fünf Wochen gestellter Antrag dümpelt nebenan im Büro von Projektleiterin Regine Collasius auf der Warteliste.

Drei verbundene Projekte hat der im Bezirk Hamburg-Nord tätige Träger Mook Wat in den Höfen des alten Arbeiterstadtteils laufen. Neben der Küche gibt es eine Werkstatt, in der ausrangierte PCs aufgearbeitet und günstig an Hartz-IV-Bezieher verkauft werden. Und es gibt den "mobilen Haushaltsservice": Frauen, die auf Ein-Euro-Basis bezahlt werden, besuchen alte Menschen in ihren Wohnungen und helfen bei Wäsche, Einkauf und Reinigung.

"Dadurch haben Senioren, die sonst vereinsamen, einen Ansprechpartner", sagt Collasius. Oft blieben die Frauen noch auf einen Kaffee und so baue sich nicht selten ein Vertrauensverhältnis auf.

Doch zurzeit sei die Warteliste lang. "Früher hatten wir 25 Kräfte, jetzt nur 13", so Collasius. Und nach den neusten Kürzungen sehe es ganz düster aus. Statt ehemals 75 soll es ab Juli nur noch 33 Arbeitsgelegenheiten (AGH), so heißen Ein-Euro-Jobs, für alle drei Projekte geben.

"Wir müssen mindestens eins, wahrscheinlich zwei schließen", sagt Mook Wat-Sozialarbeiterin Martina Nolte. Denn für Miete, Material und Anleiter, die aus der Fallpauschale pro Jobber bezahlt werden, fehlt dann das Geld.

Ein-Euro-Jobs stehen in der Kritik, weil von ihnen nur selten ein Weg in den ersten Arbeitsmarkt führt. "Aber die Leute drehen wenigstens nicht durch", sagt Nolte. "Es gibt Teilnehmer, die waren 15 Jahre arbeitslos und haben das Haus nicht mehr verlassen.

Jetzt schwingen die sich aufs Fahrrad. Wie es aber weitergeht, wenn die 10 Monate bei uns zu Ende sind, lässt viele regelrecht panisch werden." Denn dann heißt es wieder, so Nolte, Tag für Tag 16 Stunden Zeit totschlagen. "Davon würde jeder von uns krank."

Nebenan im Hof sitzen die Hausservice-Frauen im Kreis und machen Pause. "Wir kümmern uns um alte Menschen, die sonst durchs Raster fallen", sagt Heike Horn, 51, die seit vier Jahren dabei ist. Die Pflegeversicherung komme dafür nicht auf. "Ich gehe gern zu den alten Menschen. Die sind sehr dankbar", ergänzt die 41-jährige Carmen. Weil ihre AGH vorbei ist, arbeitet sie zurzeit ehrenamtlich mit.

Auch in der Küche arbeiteten die Jobberinnen ehrenamtlich. Und das Computerbüro nebenan, wo man eine Internetadresse anlegen und Bewerbungen schreiben kann, nutzen etwa 400 Arbeitslose - egal ob Ein-Euro-Jobber oder nicht. Ihnen wird hier eine Struktur im Stadtteil geboten.

"Eine sinnvolle Aufgabe zu haben, macht die Menschen gesund", sagt der Mook Wat-Mitarbeiter Hans-Jürgen Rakelbusch. Er leitet den benachbarten "Arbeitsladen". 45 Jobber sind im Bezirk unterwegs, um kleinere Reparaturarbeiten in gemeinnützigen Einrichtungen durchzuführen.

Die Teilnehmer dürfen Arbeitsschuhe, Hose, Hemd und Jacke behalten. "Es gibt Leute, die waren vor vier Jahren hier und laufen immer noch in den Klamotten rum", sagt Rakelbusch. Unsere reiche Gesellschaft verlagere immer mehr Aufgaben auf Maschinen. "Dadurch fallen Leute hinten runter. Und das kostet Geld." Man müsse sich um diese Menschen kümmern.

Das sieht auch Isa Schönemann so. Die Gewandmeisterin hat in Wilhelmsburg mit Nähgut eine Schneiderei aufgebaut, in der Ein-Euro-Jobberinnen Kostüme für Schul- und Kindertheater schneidern. Auch Kleidung aus Biostoffen für Babys und Kinder, die Bedürftige zum Materialpreis kaufen können, werden dort genäht.

"Schneidereien gibt es in Hamburg kaum noch", sagt Schönemann. Doch es gebe einen steigenden Bedarf für diese Dienstleistung, weil Designer ihre oft kleinen Stückzahlen lieber in der Nähe herstellen lassen. Darum ist die lichte Werkstatt zweigeteilt.

Im vorderen Bereich arbeiten Jobberinnen für die Allgemeinheit und im hinteren schneidern Angestellte für den Markt. Ein Übergang ist möglich. Vier der Jobberinnen sollen bald eine Lehre beginnen.

"Ein Projekt, das so gut ist, darf nicht aufhören", sagt Isa Schönemann. Statt linear bei allen zu kürzen, sollte die Stadt die Arbeitslosen fragen, welche Maßnahmen etwas bringen.

Am Schneidetisch nähen die Frauen Namenschilder in Kostüme für ein Tanztheater ein. Oben auf der Galerie hängen die Kostüme früherer Aufführungen. Darunter der Kopf der Schildkröte Marla aus der Unendlichen Geschichte, die in der Fabrik aufgeführt wurde. Die Maske habe eine junge problembeladene Frau angefertigt, sagt Schönemann.

"Sie war mit ihrer Mutter bei der Aufführung und hat viel Zuspruch erfahren." Viele Menschen seien durch Arbeitslosigkeit psychisch angeschlagen und bräuchten Raum, wo sie Kraft schöpfen können. Wie in der Schweiz sollte es deshalb auch in Deutschland "Sozialfirmen" geben, in denen Arbeitslose echte Aufträge übernehmen und so lange dort bleiben können, wie sie es brauchen.

Auch "Rock und Rat" in der Großsiedlung Steilshoop im Nordosten Hamburgs wird von Ein-Euro-Jobbern erhalten. Der Second Hand Laden für Bedürftige ist in den Räumen der Kirche untergebracht. Ein "Minitreff", in dem es neben Kaffee und Büchern gebrauchte Kleidung und ein wenig Geschirr gibt. Freitags kommt eine Honorarkraft zur Sozialberatung.

Bis Februar wurden hier auch Lebensmittel von der Tafel an 120 Bedürftige ausgegeben. "Das mussten wir schon einstellen", berichtet Gudrun Stefaniak vom Träger Passage. Auch dies eine Folge der ersten Kürzungen zu Jahresbeginn. Dabei habe es eine "ellenlange Warteliste" für das Angebot gegeben.

Wer den Laden anschauen will, wird an Frau Lucas verwiesen. Die ist seit vier Jahren dabei, quasi die Chefin. Während erste Kunden kommen, führt sie durch die Auslagen. Zeigt die Kindersachen, die Kleider für feierliche Anlässe. Am 30. Juni sei auch für sie hier Schluss, dann werde ihr wohl "die Decke auf den Kopf fallen", sagt die kleine Frau. "Ist ja irgendwie mein Zuhause hier."

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5 Kommentare

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  • A
    Albano

    Diese Menschen sollten tatsächlich solche Projekte weiterführen und zwar ganz freiwillig und ehrenamtlich - ohne Zwang. Die AGHs sollen aber dazu führen, dass die Arbeitslosen Arbeit finden und schaffen, sie sollen keine Ersatzkräfte für soziale Missstände sein oder werden. Mir ist die taz ein Rätsel - diese Beschreibung hier gibt nicht mal die Problematiken der AGHs im Detail an.

     

    Die Arbeitslosen sollen sich nämlich durch diese Jobs wieder qualifizieren, wenn aber die Projekte sowieso gefährdet, die Träger schwach sind, dann erlernen die Arbeitslosen Tätigkeiten und Dinge, die sie niemals in einem Job anwenden werden. Dann hätte die ARGE ja bereits den Fehler gemacht, die Leute überhaupt dort zuzuweisen.

     

    Ich hoffe, dass der Gesetzgeber bessere Modelle erdenkt. Letztlich war ABM m.M. sogar wesentlich besser als die AGHs, weil die Leute näher drann waren. Außerdem halte ich die Haltung der Träger für widersprüchlich, weil die nur ihre Projekte sehen, ob Arbeitslose am Ende wirklich Arbeit finden, interessiert die doch gar nicht. Warum soll der Staat dann diese Fehlsteuerung aufrecht erhalten?

  • K
    keks

    Wenn die Stadt Hamburg moechte, dass solche Projekte vernuenftig arbeiten koennen, dann soll sie diese auch vernuenftig finanzieren. Ich finde es unertraeglich, wenn unterbezahlte Zwangsarbeit nun dadurch legitimiert werden soll, dass sozialen Projekten andernfalls nicht mehr genuegend Helfer zur Verfuegung stuenden.

     

    1-Euro-Jobs gehoeren abgeschafft. Personalprobleme der Projekte werden nicht durch fehlende Zwangsarbeiter geschaffen, sondern durch krasseste Unterfinanzierung. Der Politik sind die Betroffenen einfach nichts wert, aber statt asoziale politische Entscheidungen zu kritisieren, beteiligt sich die taz hier daran, die Aermsten und Benachteiligsten gegeneinander auszuspielen.

  • AF
    Andreas Fuchs

    ich finds unmöglich, für den Erhalt von 1-euro-Jobs einzutreten. Wir hatten in Bremen letztens eine solche Demo.

    Ja klar sollen die Leute arbeiten, und nicht rumhängen. Aber dafür gibt es viele andere Möglichkeiten, sich zu engagieren, z.B. im Umsonstladen.

    Aber die gleiche Arbeit soll voll sozialversichert und mindestentlohnt werden, d.h. 10€ die Stunde, Urlaub und Weihnachtsgeld nach Tarif, für ALLE die oben aufgezählten Arbeiten.

    Was ist denn Emanzipation? Doch nicht betteln!

    Arbeiten gleichstellen, nicht unterwürfig.

    1€-Job ohne Streikrecht und ohne SV-Beiträge, das ist das, wofür die Unternehmer gekämpft haben.

    Her mit dem Guten Leben!

  • HN
    HANS NIX

    Ja, ja, wahrscheinlich ist KAIJA KUTTER selber eine 1-EURO-Jobberin? Also dieses Jubeln über diese Ausbeuter-Jobs stinkt. Außerdem sollen die Leute ganz offiziell eine Arbeit finden - dazu ist der 1-EURO-Job gedacht und das tritt praktisch nicht ein. Insofern kann diese Art von Maßnahme wohl kaum so toll sein, wie sie hier verkauft wird.

  • N
    Nitram

    Ja, niemand bestreitet, dass viele dieser Jobs sowohl für die eine wie für die andere Seite sinnvolle Effekte haben können. Nur die Frage sei doch erlaubt, inwieweit dieses auch nur irgendetwas mit Arbeitsmarktpolitik zu tun hat? Gebraucht wird ein zeitlich unbefristeter sogenannter "Dritter Arbeitsmarkt"; verbunden mit Qualifizierungsangeboten würde dieser sozialen und gemeinwohlorientierten Organisationen wie auch den dort tätigen Menschen eine große Hilfe und Perspektive sein. Aus der Sicherheit gelänge einigen dann tatsächlich noch der Sprung in den regulären Arbeitsmarkt. Nur dafür müßte sich Hamburg auf den Weg machen und einige unsinnige Koppelungen und Verpflichtungen aufgeben. genannt seien hier nur verknüpfung mit der Stadtteilentwicklung, Unterbieten der Träger, mangelnde Qualitätskontrolle, viel zu kurze Einsatzzeiten ....