Gedenktag: Ein Feiertag, so still wie die Totenruhe
Kann man der toten Soldaten gedenken, wenn die Sache, für die sie kämpften, diskreditiert ist? Ist es zynisch, am gleichen Tag an die Opfer zu erinnern?
Am Sonntag ist Volkstrauertag, der Tag, an dem man der Toten von Krieg und Gewaltherrschaft gedenkt. Es wird wie jedes Jahr eine Gedenkstunde im Bundestag geben, die ARD überträgt sie live. Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VDK) hat eine Handreichung herausgegeben für alle jene, die eine Rede halten müssen. Der Volkstrauertag ist ein stiller Feiertag, was bedeutet, dass das Volk nicht alles tun darf, was sonst erlaubt ist, zum Beispiel tanzen. Man könnte sagen, dass es auch sonst still ist um diesen Tag, dass er für die meisten so unbedeutend ist, dass man nicht dagegen protestiert, und da er auf einen Sonntag fällt, gefährdet er auch nicht die Wirtschaftskraft. Man muss ein bisschen graben, um Zweifler zu finden, Menschen, die finden, dass dieses Gedenken Gefahr läuft, ein leeres Ritual zu werden. Menschen, die finden, dass dann der Falschen gedacht wird.
Harald Schmid von der Bürgerstiftung schleswig-holsteinische Gedenkstätten, das Erinnern ist sozusagen sein Beruf. Sogar wenn er im Urlaub ist, besucht er die Gedenksteine und -tafeln in kleinen Dörfern, er nennt sie die „Kapillaren“ des Erinnerns. Dann sieht er sich an, ob die Leute einen Unterschied machen zwischen den toten Soldaten des ersten und des zweiten Weltkriegs. Ob sie Abschied nahmen vom heroischen Heldengedenken oder ob sie auf die alte Tafel von 1918 einfach die Namen der neuen Toten dazuschrieben.
„Erinnerung ist nur begrenzt eine Folge der Vergangenheit“, sagt Harald Schmid, und das ist es, was sie interessant und umkämpft macht. In der jungen Bundesrepublik habe man lange versucht, die Wehrmachtssoldaten als die Unschuldigen von den SS- und SA-Verbänden abzuheben, erst mit der Wehrmachtsausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung, die erstmals 1995 gezeigt wurde, habe man sich davon verabschieden müssen. Und bis in die 70er-Jahre war das offizielle Gedenken am Volkstrauertag ein staatsnahes Krieger- und Heldengedenken: Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VDK) habe vor allem der Kriegstoten gedacht und, wenn überhaupt, in zweiter Linie der Opfer des nationalsozialistischen Regimes: der Juden, Sinti und Roma, der Homosexuellen. Heute, sagt Harald Schmid, gebe es einen Konsens vom Verein der Verfolgten des Naziregimes (VVN) bis zum Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VDK), dass nur eine umfassende Erinnerung angemessen sein könne.
Es ist ein Konsens, auf den man lange gewartet hat, und nun, sagt Schmid, wisse man nicht, wohin er führe. Er würde gern Unruhe in den Volkstrauertag bringen – wohl wissend, dass Rituale träge sind –, etwa in jedem Jahr an zwei Tagen im Wechsel an unterschiedliche Opfergruppen erinnern, etwa an diejenigen, die ins Exil gegangen sind.
„Die Arbeit des VDK ist inzwischen sehr glaubwürdig“, Harald Schmid sagt das fast widerstrebend, und wenn man in der Geschäftsstelle anruft und nach der Falle leerer Rituale fragt, rennt man offene Türen ein. „Die Kritik an leeren Ritualen ist berechtigt“, sagt der Pressesprecher, Fritz Kirchmeier, „es gibt da eine gewisse Unbeholfenheit.“ Aber die Beteiligten wüssten eben oft nicht, was tun, wenn nicht: Rede halten, Lied für den Toten Kameraden singen und einen Kranz ablegen. „Es fehlt nicht an Experimenten“, sagt der Sprecher: Schüler, die Diskussionen veranstalteten, Pfarrer, die nach Neuem suchten, aber das setze sich nicht durch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Sensationsfund Säbelzahntiger-Baby
Tiefkühlkatze aufgetaut