Gedenktag der Russlanddeutschen: Vereinnahmtes Gedenken
Am Mittwoch wird in Marzahn an die Deportation der Russlanddeutschen 1941 erinnert.
Der Grund: Russlanddeutsche wurden kollektiv der Kollaboration mit Nazideutschland verdächtigt. Menschen wurden in Viehwagen zusammengepfercht und in der kasachischen Steppe „abgekippt“, wo sie sich selbst Erdhütten graben und Zwangsarbeit leisten mussten. In den Zwangsarbeitslagern mussten sie bei schlechter Ernährung, extremer Kälte und Schlägen harte Arbeit leisten. Hunderttausende Russlanddeutsche starben in den Lagern oder auf dem Transport dorthin.
2001 wurde auf Initiative des russlanddeutschen Vereins Vision auf dem Parkfriedhof Marzahn ein Gedenkstein für die in der Deportation umgekommenen Russlanddeutschen errichtet.
Diesen Mittwoch findet dort, wie jedes Jahr am 28. August, eine Gedenkveranstaltung statt. Waren diese anfangs noch überparteilich, wurden sie in den vergangenen Jahren unter dem Einfluss von Walter Gauks zunehmend von der CDU vereinnahmt. Gauks ist seit diesem Jahr Ansprechpartner für Spätaussiedler und Vertriebene und unter Russlanddeutschen umstritten.
Gauks lädt ins Rote Rathaus ein
In diesem Jahr lädt Gauks zu einer Gedenkveranstaltung ins Rote Rathaus ein, an der auch der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) teilnimmt. Dazu werden Russlanddeutsche aus Marzahn, Spandau und Marienfelde mit eigens gecharterten Bussen zur Veranstaltung gefahren. „Ein Rundum-sorglos-Paket der CDU, womit sie der Zielgruppe sagen will, die CDU sei für sie da“, kommentiert die Russlanddeutsche Dara Kossok-Spieß von den Grünen ironisch.
Kossok-Spieß freut sich zwar, dass es die Gedenkveranstaltung „endlich ins Rote Rathaus geschafft hat“. Sie wünscht sich aber mehr Gegenwartsbezug. Damit ist sie nicht allein. „Ich könnte ja hingehen, aber ich will die Omis nicht verschrecken“, sagt ein offen schwul lebender Russlanddeutscher der taz mit Blick auf die in die Jahre gekommene traditionell denkende Zielgruppe. Es ist also nicht verwunderlich, dass der Verein Riwwel eine Gegenveranstaltung im Kreativhaus auf der Fischerinsel in Mitte plant. Obwohl Vereinschef Nikita Heidt das Wort „Gegenveranstaltung“ nicht gern hört.
Der Verein repräsentiert Menschen, die in den letzten Jahren aus den GUS-Staaten nach Deutschland kamen. Sie stehen dem russischen Staat oft sehr viel kritischer gegenüber als viele derjenigen Russlanddeutschen, die schon in den 1990er Jahren nach Deutschland zogen. „Ich selbst habe Russland verlassen, weil es dort keine Meinungsfreiheit gibt. Andere kamen, weil sie dort nicht queer leben konnten und keinen Kriegsdienst leisten wollen“, sagt Heidt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!