piwik no script img

Gedenktafel verunstaltetSilvio wird nicht vergessen

Unbekannte beschmieren die Silvio-Meier-Gedenktafel in einem U-Bahnhof mit Teer. Initiative will eine Straße nach dem 1992 ermordeten Hausbesetzer benennen.

Linke auf den Dächern bei der Demo 2009. Bild: RTR

Ute Donner steht am Ausgang des U-Bahnhofs Samariterstraße, blickt aufgelöst auf den schwarzen Fleck an der Wand. Der verbirgt die Gedenktafel für den Hausbesetzer Silvio Meier, der an dieser Stelle am 21. November 1992 von einem Neonazi erstochen wurde. Teer übertüncht die Plakette, schwarze Spritzer von den Fliesen daneben bis auf den Boden. "Es ist beschämend, dass in heutiger Zeit so etwas passiert", schüttelt Donner, Künstlerin und Bekannte der Familie Meiers, den Kopf.

Die geschändete Tafel war von einem Passanten Montagnacht gegen 23.30 Uhr entdeckt worden. BVG-Sprecherin Petra Reetz bezeichnete die Tat als "inakzeptablen Vandalismus gegen ein demokratisch beschlossenes Gedenkzeichen". Erste Reinigungsversuche am Dienstag zeigten wenig Erfolg, in der Nacht sollte die Plakette mit einem Hochdruckreiniger gesäubert werden. Die Polizei ermittelt wegen politisch motivierter Sachbeschädigung. Videoaufnahmen zu der Tatzeit hat die BVG gesichert.

In den letzten Jahren war die Tafel immer wieder beschädigt worden. Zuletzt wurde ein Exemplar 2006 aus der Wand gerissen, eine Ersatztafel anschließend gestohlen. Ein Antifa-Bündnis will am Samstag mit einer traditionellen Demo zum Gedenken an Silvio Meier durch Friedrichshain ziehen. Der Anschlag auf die Tafel sei "eine Provokation gegen die Demonstration", sagte Lars Laumeyer, Sprecher der Antifaschistischen Linken Berlin. Die grüne Abgeordnete Canan Bayram nannte die Tat einen "feigen Angriff". "Wir werden es nicht hinnehmen, dass Nazis in Friedrichshain Fuß fassen."

Schon vor dem Anschlag forderte eine Initiative aus Antifa-Gruppen und Linkspartei, eine Straße in der Nähe des U-Bahnhofs Samariterstraße nach Silvio Meier zu benennen. "Als symbolischer Akt gegen Neonazi-Gewalt und Ehrung für den Mut, gegen Nazis aufzustehen", so Damiano Valgolio, Linken-Vorstand in Friedrichshain-Kreuzberg. Der 27-jährige Meier war ermordet worden, nachdem er versucht hatte, einem Neonazi einen rechten Aufnäher von der Jacke zu reißen.

Dass Straßen im Bezirk vorerst nur nach Frauen benannt werden sollen, sieht Valgolio nicht als Problem. "Bei wichtigen Persönlichkeiten gibt es Ausnahmen, siehe Rudi-Dutschke-Straße 2008." Alternativ sei auch die Benennung eines Platz oder einer öffentlichen Einrichtung denkbar, so Valgolio. Das Prozedere solle bis November 2012 durch sein. Daniel Wesener, Sprecher der grünen Fraktion in der BVV Friedrichshain-Kreuzberg, begrüßte die Initiative. Die Idee müsse noch in der Partei besprochen werden, eine Umsetzung bis 2012 sei aber realistisch.

Unterdessen präsentierte das Register Friedrichshain, eine Dokumentationsstelle rechter Übergriffe, eine Befragung von Gewerbetreibenden im Bezirk zu Alltagsrassismus. Darin erklärten 9,5 Prozent der Unternehmer, in ihren Läden Diskriminierung oder Rassismus erfahren zu haben - gegen sich selbst oder gegen Kunden. 15 Prozent schätzten, dass es Menschen in Friedrichshain gibt, die sich "nicht sicher fühlen". Jeder Fünfte gab an, sich gegen Rassismus engagieren zu wollen. 11,7 Prozent äußerten in diesem Fall aber Angst vor Gewalt oder Vandalismus.

An der im Juni 2010 gestarteten Umfrage hatten sich 53 von 650 angefragten Betrieben beteiligt. Studienverfasserin Heike Weingarten wertete die Zahlen als Auftrag, mehr Unternehmen zu sensibilisieren und für ein Engagement gegen Rassismus zu gewinnen. "Wenn viele mitmachen, gerät niemand in den Fokus von Rechten und Rassisten."

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

10 Kommentare

 / 
  • G
    @grafinger @taz

    Eine solche demokratische Abstimmung (Bezirksverordnetenversammlung, Senat, Volksentscheid u.s.w.) hat es meines Wissens nie gegeben. Kurz nach dem Mord wurde sie auf private Intitiative angebracht und von der BVG mehr oder weniger geduldet. In den Folgejahren wurde sie mehrmals gestohlen, verunstaltet aber immer wieder im Einvernehmen zwischen den Freunden Silvio Meiers und der BVG ersetzt.

    Vielleicht kann die TAZ hier mit mehr Informationen für Aufklärung sorgen, wenn sie solche Aussagen in ihren Artikel übernimmt. Danke.

  • G
    grafinger

    @"Kaa":

    Oh, klar, Sprüche wie "Kein Vergeben! Kein Vergessen!" (sic!) dienen ja nicht der Heldenverehrung sondern der stillen Trauer ebenso wie die dazu passenden Schlagworte der jährlichen Demo wie 2009 "Gegen Nazis, Staat&Kapital" (sic!). Wenigstens findet die nicht am 9. November statt (SCNR).

    Und solch primitiver Pathos, egal von welcher Seite löst in mir Unwohlsein aus.

    Wenn ich diesen Missbrauch des Opfers für eine Ideologie negativ bewerte ist das keine Respektlosigkeit dem Opfer oder seinen Angehörigen gegenüber sondern eine Anklage der Leichenschänder.

    Deine Ausführung, die Anbringung der Tafel sein ein demokratische Akt gewesen weil sie ein "überzeugter Demonkrat" (sic!) als solche bezeichnet ist nicht schlüssig. Wer bitte hat demokratisch über die Anbringung der Tafel abgestimmt?

  • K
    Kaa

    @grafinger

     

    Dein Kommentar löst in mir Brechreiz aus.

    Hier geht es nicht um Heldenverehrung, niemand stellt Silvio Meier als Helden dar. Es geht um die Erinnerung an einen unfassbar grausamen Mord aus niederen Beweggründen.

    Und das mit dem Horst-Wessel-Kult von Neonazis und Nazis zu vergleichen ist dem Opfer und dessen Angehörigen gegenüber mehr als respektlos. Desweiteren ist die Aussage stark relativierend.

    Und, dass die Gedenktafel ein demokratischer Akt war betont ja auch ein überzeugter Demonkrat, dessen Meinung nicht wirklich was zur Sache tut.

     

    Also fuck you, würd ich ma sagen.

  • G
    grafinger

    Bittet jetzt nicht gleich sauer werden, aber der ganze Pathos und die Heldenverehrung der Antifa erinnern mich stark an den Horst-Wessel-Kult der Nationalsozialisten.

    Der starb ja auch nicht wirklich "für die Bewegung".

    Wieso wird so stark betont, dass die Errichtung der Gedenktafel ein demokratischer Akt war? Etwa weil es das gerade nicht war?

  • A
    Alfons

    Wieso sollte man auch Wehrmachtsgedenken (wie zuletzt am Sonntag auf dem Columbiafriedhof in Neukölln) tolerieren bzw. gar "respektieren"? Genau dieser Geist war es, der letztendlich Schuld an den Gräueltaten der Nazis hat - wegschauen, statt eingreifen.

  • DF
    Dutschke Fan

    "Der 27-jährige Meier war ermordet worden, nachdem er versucht hatte, einem Neonazi einen rechten Aufnäher von der Jacke zu reißen."

     

    "Bei wichtigen Persönlichkeiten gibt es Ausnahmen, siehe Rudi-Dutschke-Straße 2008."

     

    Der ist also nicht eingeschritten, als jemand verprügelt wurde oder ähnlches und dabei ums Leben gekommen (Vergleich Dominik Brunner), sondern weil er einen Aufnäher abreißen wollte?

    Wichtige Persönlichkeit? Gehts noch!? Da hat ein Knabe Zivilcourage mit Mackertum verwechselt und ist dabei an einen brutalen Mörder geraten. Macht ihn das zur wichtigen Persönlichkeit? Der könnte heute noch leben, wenn er nicht den mutigen Mann gespielt hätte. Das im gleichen Atemzug mit Rudi Dutschke zu nennen finde ich absolut vermessen.

  • A
    Anwohner

    Danke für die Erinnerung. Da is wahrscheinlich wieder Antifa Demo am Wochennede im Kiez. Muss ich meinen Wagen umparken. Die Jungs und Mädels in Schwarz verwechseln ja manchmal das eigentliche Kampfziel Nazi mit Autos bestimmter Marken.

  • K
    Kim

    Die Nazischwachköpfe waren wahrscheinlich nur sauer, weil letzte Woche so viele blöde Soldatendenkmäler zerstört wurden. Letztlich fehlt es wohl auf beiden Seiten am nötigen Bildungsgrad, um Dinge zu respektieren, die nicht ins eigene Weltbild passen.

  • C
    Carola

    Die Tat von gestern Nacht finde ich respektlos.

    Ich möchte hier aber mal einen grundsätzlichen Gedanken zu dieser Tafel anstoßen:

    Diese Form der Erinnerung ist zweifelsfrei wichtig. Hat sich aber mal jemand Gedanken darüber gemacht, wie sich hunderte von Angehörigen von Opfern von Gewaltverbrechen in Berlin, politisch oder wie auch immer motiviert, fühlen. Eine Person bekommt von der BVV (aus politischem Kalkül?) eine Gedenktafel und viele andere geraten in Vergessenheit. Das muss für die Angehörigen schmerzhaft sein. Weniger Ungleichbehandlung fände ich an dieser Stelle respektvoller.

  • V
    Verschwörungstheoretiker

    In der Szene wird gemunkelt, dass es möglicherweise ein inszenierter Anschlag war, um die Mobilisierung für Samstag anzukurbeln. Auf Indymedia konnte mensch gestern entsprechende Diskussionen lesen, die aber kurz danach gelöscht wurden.