Gedenken zum 9. Mai: Putins Hurra, Makeievs Blumen

Putins Propaganda-Rede zum "Tag des Sieges" steht in grellem Kontrast zum Stand der Erinnerungskultur in der Ukraine und anderswo.

Sergej Schoigu salutiert vor Wladimir Putin

Verteidigungsminister Sergei Schoigu (l.) und Wladimir Putin bei der Militärparade auf dem Roten Platz Foto: Dmitry Astakhov/Sputnik/ap

So erwartbar wie schlicht: Nichts Neues im Osten und in der Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin zum 9. Mai, dem 78. Jahrestag des Sieges der Roten Armee über Nazideutschland. Der Kremlchef zieht eine direkte Linie von damals bis in die Gegenwart. Auch jetzt sei Russland das Opfer, gegen das der Westen, getrieben von aggressivem Nationalismus und Russophobie, einen Krieg entfesselt habe. Dessen Ziel sei kein Geringeres als der Zusammenbruch Russlands.

Kyjiw sei zu einer Geisel und Verhandlungsmasse der „westlichen Herren“ geworden. Der Überfall auf die Ukraine wird von Putin zur schicksalhaften Entscheidungsschlacht stilisiert, Russlands tapferen Kämpfern der „militärischen Spezialoperation“ gebühre Stolz. Sie seien in höherem und heiligem Auftrag unterwegs – dem Kampf gegen den Faschismus, der als Begründung für das Vorhaben herhalten muss, Moskaus Nachbarn samt seiner Bevölkerung auszulöschen.

Auch wenn sich seit dem Beginn von Putins Angriffskrieg am 24. Februar 2022 nichts an diesem Narrativ geändert hat, sollte es gerade in diesen Tagen besonders aufmerksam zur Kenntnis genommen werden. Zweifellos: Man kann sich an dem Begriff des „Raschismus“, einer Anleihe aus dem Englischen „Russian fascism“, abarbeiten, der als Terminus seit Kurzem auch in die ukrainische Gesetzgebung Eingang gefunden hat. Dasselbe gilt für eine Neujustierung der ukrainischen Erinnerungskultur im Hinblick auf das Ende des Zweiten Weltkriegs. Oder die Geste des ukrainischen Botschafters Oleksii Makeiev, Blumen in der Neuen Wache in Berlin anstatt an sowjetischen Gedenkstätten niederzulegen.

Doch statt kontrovers zu diskutieren, steht derlei Gebaren sofort unter dem Generalverdacht, den Holocaust relativieren zu wollen. Einige wussten es schon immer, spätestens jedoch seit 2014: Das ist sie eben, die „faschistische Junta“, die sich in Kyjiw an die Macht geputscht hat. In der Ukraine hat die Debatte nicht nur über die eigene Geschichte längst begonnen und sie wird weitergehen. Dem setzt Wladimir Putin in Moskau ein „Für den Sieg, hurra!“ entgegen. Es ist dies eine Ansage, die es ernst zu nehmen gilt.

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Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.

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