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Gedenken in TschechienTotengräber der Samtenen Revolution

Präsident Miloš Zeman missbraucht den Feiertag der Meinungsfreiheit, um vor ausgesuchtem Publikum gegen Flüchtlinge zu hetzen.

Gegen Putin: Auch so wurde an den Jahrestag der Samtenen Revolution erinnert. Foto: Filip Singer/dpa

Prag taz | Selbst in einer geschichtsträchtigen Stadt wie Prag gibt es kaum einen Ort, der so sehr den Kampf junger Menschen für Freiheit und Demokratie symbolisiert, wie der Albertov-Campus der Prager Karlsuniversität unweit des Stadtzentrums. Es war hier, wo sich 1939 die Studentenproteste gegen die Naziokkupation konzentrierten, die am 17. November 1939 in die Schließung aller tschechischen Universitäten und Repressalien gegen ihre Vertreter mündeten.

Und es war hier, wo 50 Jahre später eine Gedenkdemonstration zur Samtenen Revolution wurde, die den Lauf der tschechischen Geschichte verändern sollte.

Es war auch am Albertov-Campus, wo die Samtene Revolution an ihrem 26. Geburtstag zu Grabe getragen wurde. Ihr Totengräber: Präsident Miloš Zeman. Denn der missbrauchte diesen Feiertag der Meinungsfreiheit, um die Spaltung, die sich seit seiner Wahl 2013 in der tschechischen Gesellschaft auftut, weiterzutreiben.

Zeman hatte sich entschlossen, den Jahrestag der Revolution damit zu verbringen, rechtspopulistische Kräfte des „Blocks gegen den Islam“ bei einer Kundgebung am Albertov-Campus zu unterstützen. Das hatte nicht nur zur Folge, dass der Ort schon Stunden zuvor hermetisch von der Polizei abgeriegelt wurde. Denn die Staatsmacht musste den Präsidenten vor seinem eigenen Volk beschützen, das ihn bei den Feiern 2014 mit Eiern beworfen hatte. In diesem Jahr durften nur ausgesuchte Gäste in die Nähe des Podiums: ausgewiesene Fans von Zeman, Mitglieder des Blocks gegen den Islam.

Die Kundgebung war ein Affront gegen die Ideen der Revolution von 1989, zu denen auch der Wunsch gehörte, „zurück nach Europa“ zu gelangen. Es war eher ein zentralasiatisches Flair, das Zeman und der Block gegen den Islam in diesem Jahr nach Albertov brachten. Auf dem Podium prangte die Losung „Lang lebe Zeman“. Davor der Präsident mit Martin Konvička, dem Führer des Blocks gegen den Islam, der Putin-Lobbyist Martin Nejedlý, der zu Zemans Beratern gehört, sowie die obligatorischen klatschenden Zeman-Freunde.

In seiner Rede setzte Zeman Flüchtlinge mit Terroristen gleich und erklärte all diejenigen, die nicht mit ihm konform gingen, zu einer „brüllenden Herde“. Mit im Publikum saßen auch Mitglieder der Führungsriege von Pegida. Die Dorfstammtische Mitteleuropas haben sich gefunden.

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2 Kommentare

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  • 7G
    70023 (Profil gelöscht)

    Iich schäme mich für Europa. Wie hat der arabische Philosoph vor 200 Jahren Europa beschrieben. "Demokratie, Menschenrechte, Meinungsfreiheit, eure Toleranz gilt nur für euch selbst" Er war bestimmt nicht nur weitsichtig er war ein guter Beobachter. Er hat wohl recht.

  • Meinungsfreiheitlässt sich nicht missbrauchen. Sie besteht darin, dass ich sie dem anderen zugestehe. Wenn ich dessen Äußerung als "Missbrauch der Meinungsfreiheit" charakterisiere, bin ich für deren Abschaffung.

     

    Winnzigleines Problem: Kann ich mir wirklich sicher sein, dass am Ende ausgerechnet meine Meinung diejenige ist, die den anderen vorgeschrieben wird?