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Gedenken an NationalsozialismusWir können alles – außer Erinnern

Der Oberbürgermeister will sie, auch die Kirche ist dafür. Doch CDU, Freie Wähler und eine NPD-Abspaltung stimmen gegen Stolpersteine in Villingen.

Nur in Berlin, nicht in Schwaben: Stolpersteine. Bild: ap

VILLINGEN-SCHWENNINGEN taz | Stolpersteine werden kaum beachtet, sie belasten die Bewohner des betroffenen Hauses und man wirft einem Künstler damit Geld in den Rachen. So zumindest argumentieren die Gegner von Stolpersteinen, die an durch die Nazis ermordete Juden erinnern, in Villingen-Schwenningen.

Der Gemeinderat lehnte im November ab, dass die kleinen Kunstwerke des Kölner Künstlers Gunter Demnig in das Straßenpflaster eingelassen werden. Seitdem rumort es in der 80.000-Einwohner-Stadt.

Die Befürworter stehen mit Kerzen und Transparenten unter dem riesigen Weihnachtsbaum am Latschariplatz, es ist sonntägliche Mahnwache. Ein Herr im dunklen Mantel tritt in den Kreis, nimmt den Hut ab und sagt: „Sind die Namen erst vergessen, sind es auch die Menschen.“ Die Kirchen sagen Ja zu den Stolpersteinen, auch der Oberbürgermeister der Stadt will sie.

Anders die Gegner. Sie wollen sich allerdings nicht äußern. „Das ist eine örtliche Angelegenheit“, sagt Renate Breuning, Chefin der CDU-Ratsfraktion. „Kein Kommentar“, heißt es bei den Freien Wählern. Die beiden Fraktionen hatten mehrheitlich gegen die Stolpersteine gestimmt. Und mit ihnen der Stadtrat der Deutschen Liga für Volk und Heimat, einer Abspaltung der NPD.

Weltmeister im Aussitzen

Es gehe dabei um die Frage wie man erinnere, nicht darum, dass man nicht erinnern wolle. Sagen die Gegner. Doch schon 2004 wurden die Stolpersteine vom Gemeinderat verhindert. Getan hat sich seither nichts. „Man hofft, dass wir die Sache wieder vergessen“, sagt Michael Irion, Initiator der Stolperstein-Aktion in der Stadt. „Im Aussitzen von Problemen ist man hier Weltmeister.“ Den Gefallen will er den Lokalpolitikern jedoch nicht tun. Inzwischen haben CDU und Freie Wähler im Gemeinderat einen Antrag auf eine zentrale Gedenktafel gestellt. Irion hält das für einen Alibi-Vorschlag: „Der ist nur auf öffentlichen Druck hin entstanden.“

Friedrich Engelke, der die Schicksale der Juden aus der Stadt recherchiert, sagt: „Villingen will sich nicht erinnern, und schon gar nicht erinnern lassen.“ Viele Villinger befürchteten, dass durch seine Recherchen für ihre Familie, ihre Vorfahren Unangenehmes herauskomme.

Ähnliches hat vor einigen Jahren München erlebt. Die Stadt lehnte Stolpersteine ab – aus Angst vor Vandalismus von rechts. In der bayerischen Landeshauptstadt ist die NS-Vergangenheit dennoch präsent, es gibt den Platz der Opfer des Nationalsozialismus, ein NS-Dokumentationszentrum wird gerade gebaut. In Villingen-Schwenningen sind die Anstöße zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus klein dimensioniert: Es gibt eine Tafel am einst zerstörten Bethaus und eine namenlose Stehle am Bahnhof (von einer kirchlichen Jugendorganisation aufgestellt).

Die Kosten sind kein Problem

Die Argumentation der Gegner der Stolpersteine fällt an vielen Stellen in sich zusammen. Bewohner betroffener Häuser melden sich zu Wort: Wir haben nichts gegen die Erinnerung auf dem Gehsteig vor unseren Türen, sagen sie.

Auch anstehende Kosten müssen als Argument gegen die Stolpersteine herhalten. Aber die nehmen sich die Verhinderer selbst aus der Hand. Für ihren Vorschlag einer zentralen Gedenkstätte müssten im Haushalt, so meint die CDU, 20.000 Euro reserviert werden. Ein Stolperstein kostet 120 Euro, sagt Irion.

19 Schicksale von Juden aus Villingen hat Rechercheur Engelke bereits zusammengetragen. 2.280 Euro. Bezahlen würden Sponsoren, Privatleute, Menschen, denen das Erinnern etwas wert ist.

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13 Kommentare

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  • S
    saurer

    projekt von 2 schülern zum Thema:

    http://virtuellestolpersteine.wordpress.com/

  • SA
    Scholem Alejchem

    Stolpern kann man nur über ein Hindernis und als solches wurden die damals deportierten und umgebrachten Juden betrachtet. Die Opfer des Naziregimes auf solche Weise zu verunglimpfen ist infam.

  • C
    CDU =Pfui!

    Die CDU-Tusnelda weigert sich also zu gedenken. Ah ja, und die CDU-Tusnelda macht dabei den politischen Schulterschluss mit der NPD. Pfui!!!!!!!!!!!!!!!

  • FE
    Friedrich Engelke

    Chapeau! Frau Müssigmann hat gute Arbeit geleistet: Nach fast 70 Jahren gehört die Ermordung von Juden zu denjenigen Verbrechen, denen sich das menschliche Erinnerungvermögen nur schwer zu nähern vermag. Woran liegt es? Nach Kriegsende setzt ein Verdrängungsprozess ein. Das Interesse an einer Auseinandersetzung erlischt schlagartig nach Gründung der BRD. Nur selten erwähnen Berichte jüdische Mitbürger in Villingen. Es ist die Zeit, in der eher Widerstandslegenden entstehen. Einer Festschrift der 1000jährigen Zähringerstadt fehlt 1999 jeglicher Bezug zur Präsenz jüdischen Lebens. Oftmals jahrelang verdrängte und tabuisierte Teile der Geschichte bis in Familien hinein begründen fehlendes Erinnern. Erst im letzten Jahrzehnt steigt die Nachfrage. Hat erst die Zeit Barrieren und Hemmungen beseitigt? Wird die Vergangenheit näher an die Gegenwart herangerückt? Erneut versuchen Bürger dieser Stadt und der Region der öffentlichen Sprachlosigkeit zu diesen Verbrechen ein Ende zu setzen; sie gehen bereits weitere Aufgaben an: Die Erarbeitung einer wissenschaftlichen Dokumentation (Biographien der Opfer), Zugriff darauf über QR-Code an den betroffenen Häusern neben den geplanten Stolpersteinen. Zugang also zu dem, was stärker bewegt: Bilder,Briefe, Berichte, Zeugnisse, Klagen. Erst dann geht es einem an die Nerven, ist die Phantasie imstande, sich den damals täglichen Terror, den Gestank, das Gebrüll, das Leid, schließlich das Morden vorzustellen. Neben einem breiten bürgerschaftlichen und ehrenamtlichen Engagement als unverzichtbarer Basis unabdingbar bleibt die verlässliche und dauerhafte Unterstützung des Erinnerns durch die Stadt selbst. Sie muß sich dieser Verantwortung stellen - auch zum Schutz der eigenen Legitimität.

  • RW
    Rosa Wertheimer

    Diese Stolpersteine sind ein schlechter Witz - jetzt kann man auf den toten Juden auch noch rumtrampeln.

  • R
    reblek

    "Nur in Berlin, nicht in Schwaben: Stolpersteine." - So ein Unsinn: Stolpersteine gibt es nicht nur in Berlin.

  • B
    Blechstein

    "Stolpersteine" verlegen ist keine Kunst,sondern Erinnerungskultur.

  • Die allgegenwärtigen Stolpersteine halte ich für ein geeignetes Mittel, um die braune Nazi-Scheiße öffentlich anzuprangern. Vielleicht bringt es die Menschen aus dem braunen Milieu irgendwann zur Vernunft oder es hält die Menschen davon ab, nach rechts abzudriften. Ich finde diese Steine großartig und halte sie für ein geeignetes Mittel, um die Nazi-Ideologie aus den Köpfen zu verbannen.

  • J
    JDeckart

    Naja in Villigen-Schwenigen sind sie nicht die einzigen die keine Stolpersteine wollen.

    In Giessen wurde eine Anfrage zur Verlegung dieser Stolpersteine vom Universitätspräsidenten abschlägig entschieden, diese sollte an zwei jüdische Studentenvereine erinnern, welche 1933 vom der Universität verboten worden sind. Die Begründung die Universität möchte nicht an "Rechtsradikale Verbindungen" erinnern. Auch hier hätte ein privater Spender die Kosten übernommen.

  • K
    Klarsteller

    Sich erinnern ist gut.

    (Ständig) Erinnert werden stumpft ab.

  • M
    miri

    Stolpersteine sind viel besser als eine "zentrale Gedenkstätte". Gedenkstätten sind Outsourcing der Erinnerung, eine Abstraktion; Stolpersteine bringen die Toten direkt in den Alltag, sie sind eine Konkretisierung. Ich lese in Hamburg sehr gerne die Stolpersteine, sie geben den oft sehr veränderten, zerstörten Orten der Stadt auch einen Teil ihrer Geschichte zurück. Hier stand mal ein Wohnhaus -- Menschen darin --- einige waren jüdisch -- einige sahen weg... Ort, Zeit und Mensch finden wieder zusammen. Und warum keine Tafel am Haus? Der Stein unter unseren Füßen ist symbolischer. Er trägt uns, und wir können ihn mit Füßen treten -- wenn wir nicht innehalten und ihn ansehen.

  • F
    Felix

    Ich finde die Idee einer zentralen Gedenkstätte sehr gut und auch würdiger als die in Mode gekommenen Stolpersteine. Dennoch ist ein einzelner Stein immer auch ein Hinweis auf genau einen besonderen Menschen und ein schlimmes Schicksal. Mir wäre eine Gedenktafel z. B. an Hauswänden lieber.

    Was sich der Stadtrat in VS leistet ist einfach peinlich und gegenüber den Opfern unwürdig.

    Trotz dessen sollte man auch hören was die Gegner der Stolpersteine zu sagen haben, auch das verlangt der Anstand.

  • irgendwie muss das ja in die breitere öffentlichkeit. es gibt auch einen film, in dem die stolpersteine vorkommen. es geht um erzählungen von überlebende juden aus polen. bevor sie es mit ins grab nehmen müssen.