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Gedenken an NS-Opfer in MünchenTonspuren der Vergangenheit

Die Künstlerin Michaela Melián beschreitet in München neue Wege in der Gedenkkultur. Doch die ehemalige "Hauptstadt der Bewegung" scheint überfordert von ihrer eigenen Courage.

Hier lassen sich die Soundfiles runterladen. Anhören kann man sie sich dann an den Orten des Geschehens. Bild: screenshot/memoryloops.net

Ein Ort ist Michaela Melián besonders wichtig. Den schwarzen Wollmantel fest um die Taille gegürtet, überquert die Künstlerin mit schnellem Schritt die viel befahrene Ottostraße in der Münchner Innenstadt. Vor dem Gebäude der Bayerischen Landesbank bleibt sie stehen. Doch um die Bank geht es ihr nicht. Melián interessiert der Ort, auf dem das Gebäude heute steht. Dort wo Brienner Straße und Türkenstraße in München aufeinander treffen, stand einst das Wittelsbacher Palais: von 1933 bis 1945 das Hauptquartier der Gestapo.

Verweise auf diesen historischen Schreckensort gibt es kaum. Nur eine unscheinbare Bronzetafel an der linken Hausecke fasst die Geschichte des Vorgängergebäudes zusammen. "Ich musste dreimal um das Haus herumlaufen, bis ich die Tafel gefunden habe", sagt Melián. Dann liest sie vor: Erbaut 1848. Die bayerischen Könige haben hier residiert. 1919 wurde an dieser Stelle die Münchner Räterepublik beschlossen. In den letzten drei Zeilen schließlich: "In der Zeit der NS-Gewaltherrschaft Dienstgebäude der Geheimen Staatspolizei. Durch Bomben zerstört 1944." Davon, dass der Keller des Wittelsbacher Palais der Gestapo ab 1934 auch als Gefängnis diente, steht dort nichts. All die Menschen, die hier gefoltert und vor dem Transport in die KZs von den Nazis interniert wurden, sie kommen auf der Gedenktafel nicht vor.

München tut sich immer noch schwer mit dem Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus - das offenbart sich hier, wie vielerorts. 2008 schrieb das Kulturreferat deshalb einen Wettbewerb aus, der nach neuen, zeitgemäßen Formen des Erinnerns suchen sollte. Die Münchner Künstlerin Michaela Melián hat ihn mit ihrem Audiokunstwerk "Memory Loops" gewonnen.

In zwei Jahren Arbeitszeit verarbeitete Melián gemäß ihrem Konzept historische, aber auch aktuelle Erinnerungen von Opfern und Tätern des Nationalsozialismus zu kurzen Tonspuren und hinterlegte diese auf einem virtuellen Stadtplan im Internet. Wer in die Erinnerungsschleifen eintauchen will, muss sich die Tonspuren herunterladen und ist mit der Auswahl und dem Finden der Erinnerungsorte auf sich allein gestellt. Vor Ort kann man sich dann mit seinem Handy oder MP3-Player die passenden Tonspuren anhören.

So ist ein hörbares Denkmal entstanden, das weit über die bisherige deutsche Erinnerungs- und Gedenkkultur hinausweist. Nichts an Meliáns Kunstwerk ist monumental. Keine Stelen, keine Gedenktafeln. Kein Ort, um einen Kranz niederzulegen. Keine Möglichkeit, das Erinnern zu einem bloßen Ritual der Sühne verkommen zu lassen. Doch nun, da das Projekt abgeschlossen und zugänglich ist, scheint der Stadt der anfängliche Enthusiasmus wieder abzugehen.

Unweit der Bronzetafel an der Bayerischen Landesbank hat sich die 54-jährige Künstlerin und Sängerin der Münchner Diskurspop-Band FSK unter einem Verkehrsschild aufgestellt. Dort, unter mehreren Hinweisen zur korrekten Nutzung der gebührenpflichtigen Parkplätze, findet man seit Ende September auch einen Hinweis auf ihr Projekt: ein blaues Täfelchen, unscheinbar und schwer zu entdecken, denn es ist kaum größer als die Kartonhülle einer Single-Schallplatte. "Memory Loops" steht darauf in schwarzer Schrift, dazu eine Telefonnummer. An sechzig ausgewählten Orten in der Stadt sind die blauen Schildchen zu finden.

Sie verweisen auf ausgewählte Tonspuren aus den insgesamt 300 deutschen und 175 englischen Audioloops. Wählt man die Nummer vor dem Gebäude der Bayerischen Landesbank, berichtet eine Männerstimme, begleitet von sphärischen Streichern, davon, wie es war, mitten in der Nacht von den Männern der Gestapo abgeholt, in die Zentrale im Wittelsbacher Palais und von dort aus weiter ins KZ nach Dachau gebracht zu werden.

Am Ort des Geschehens

Exemplarische Erinnerungen wie diese, sowohl von Opfern als auch von Tätern, von entrechteten und deportierten Juden, aber auch von Homosexuellen, Sinti, Roma, Zwangsarbeitern sowie Opfern von Zwangskastration und Euthanasie hat Michaela Melián aus Archiven und mithilfe von Interviews gesammelt und in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Rundfunk aufgenommen. Angereichert mit Zeitungsausschnitten, Flugblättern und Registereinträgen, unterlegt mit musikalischen Eigenkompositionen der Künstlerin entstand eine Audiocollage, die sich wie ein vielschichtiges Stimmengewirr über die gesamte Stadt legt. Nur am jeweiligen Ort des Geschehens verdichten sich die zum Zweck der künstlerischen Verfremdung von Schauspielern gesprochenen Erinnerungen zu einer geografischen Einheit.

Opfer und Täter erinnern sich so bisweilen am gleichen Ort und offenbaren damit, wie nah beieinander, oft nur durch Hauswände und Stockwerke voneinander getrennt, die Schicksale und Geschichten von Kriegsgewinnlern und Verlierern, von Mitläufern und Verfolgten lagen.

Damit entlarvt Meliáns Kunstwerk wie im Vorbeigehen die Mär, "man habe von alldem ja nichts gewusst". Was Melián gelingt, weist weit über die bisherige Erinnerungskultur der ehemaligen "Hauptstadt der Bewegung" hinaus. Sicherlich: In der bayerischen Landeshauptstadt gibt es Orte des Gedenkens, die sich auf die NS-Geschichte beziehen. An die Opfer erinnern aber nur die wenigsten. Die Mehrheit der Gedenktafeln und Plaketten ist gemäß einer Bestandsaufnahme des Kulturreferats denjenigen Münchnern gewidmet, die sich im Widerstand organisierten - einer Minderheit.

An vielen zentralen Orten fehlt der Hinweis auf die braune Vergangenheit der Stadt ganz. So zum Beispiel an der Feldherrnhalle, die die Nazis nach dem gescheiterten Putschversuch Hitlers 1923 nach der Machtergreifung häufig für propagandistische Aufmärsche nutzten. Auch ein von Orten und Namen losgelöstes Denkmal, das ein würdiges Erinnern an alle Opfer des NS-Terrors möglich macht, gibt es in München im Grunde nicht. Der "Platz der Opfer des Nationalsozialismus" gegenüber der ehemaligen Gestapo-Zentrale ist kaum mehr als ein Grünstreifen an einer viel befahrenen Straßenkreuzung. Seit Jahren schon ist dieser Mangel im Stadtrat angekommen. Meliáns Audiokunstwerk ist neben dem geplanten NS-Dokumentationszentrum in der ehemaligen NSDAP-Parteizentrale und der geplanten Umgestaltung des Gedenkplatzes eine Initiative von mehreren, die München in Sachen Erinnerungs- und Gedenkkultur auf die Höhe der Zeit bringen soll.

Bild: taz

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Melián hat die Wettbewerbsausschreibung, in der bewusst auf einen expliziten Ort des Gedenkens verzichtet wurde, wörtlich genommen - "Denn der Ort ist die ganze Stadt", wie sie betont. Orte, die jeder Münchner aus dem alltäglichen Leben kennt, werden so mit einer bisher oft verborgen gebliebenen Bedeutung angereichert. Ein in Stein gehauenes Denkmal wird dadurch obsolet.

Zaudernde Politiker

Doch die Omnipräsenz der grausamen Erinnerungen, die nicht an einem einzelnen Ort gebündelt werden können, ist Stärke und Schwäche des Kunstwerks zugleich. Denn was Melián unter Zuhilfenahme neuer Medien meisterhaft umgesetzt hat, bedürfte nun eines durchdachten Marketings von Seiten der Stadt. Doch das lässt bisher zu wünschen übrig. Wer nichts von dem Projekt weiß, wird im Stadtbild außer durch die kaum wahrnehmbaren Schilder nirgends darauf hingewiesen, und auf der Webseite der Stadt sucht man vergeblich nach einem prominent platzierten Link.

Obwohl das Projekt vom Kulturausschuss der Stadt angestoßen, von mehreren Symposien im Vorfeld begleitet und gemäß der Empfehlung der Wettbewerbsjury vom Stadtrat verabschiedet wurde, wird man den Eindruck nicht los, als mangele es nun bei der angemessenen Präsentation des Kunstwerks an politischem Willen. Zwar soll Meliáns Projekt im geplanten NS-Dokumentationszentrum, mit dessen Bau 2011 begonnen wird, einen eigenen Raum bekommen. Stolz ist München auf diese außergewöhnliche Arbeit aber - völlig zu Unrecht - offenbar nicht und vergibt mit dieser Halbherzigkeit erneut eine Chance, dem Zaudern um das NS-Gedenken ein Ende zu setzen.

Die Audiospuren findet man unter www.memoryloops.net

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2 Kommentare

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  • H
    hallo

    ich habe schon in verschiedenen kunstzeitschriften und auch tageszeitungen anzeigen gesehen, die auf das projekt hinweisen. das ist zwar ein spezielles zielpublikum, wo man sozusagen eh offene türen einrennt und in diesem sinne evtl. nicht ausreichend, aber mangelnden publikationswillen und mangelndes finanzielles engagement dafür kann man da wohl nicht vorwerfen.

  • B
    Barsch

    An der Feldherrnhalle fehlt der Hinweis nicht: Sie finden an der Ostseite eine Gedenktafel im Boden eingelassen, die an die beim ersten Putschversuch getöteten Polizisten erinnert sowie eine weitere Tafel mit ihren Namen an der benachbarten Residenz, eine Tafel direkt an der Ostseite der Feldherrnhalle weist auf die frühere Gedenktafel über die Blutzeugen hin. Ausserdem gibt es hinter der Feldherrnhalle in der Viscardistraße auf der gesammten Länge eine geschungene, goldene Linie, die auf ihre Funktion als "Drückebergergasse" hinweist sowie eine weitere Gedenktafel.

     

    Gerade die reich dokumentierte Feldherrnhalle als Beispiel anzuführen finde ich schon komisch.