Gedenken an KZ-Opfer: Stigmatisiert und vergessen
Am Freitag wird an die Aktion "Arbeitsscheu Reich" der Nazis im Jahr 1938 erinnert. Dabei wurden insgesamt 10.000 als "asozial" klassifizierte Menschen ins KZ verschleppt.
Polizei und Opferverbände wollen am heutigen Freitag gemeinsam an die Folgen des nationalsozialistischen Staatsterrors durch die Aktion "Arbeitsscheu Reich" im Juni 1938 erinnern. Bei einer Gedenkveranstaltung auf dem Areal der ehemaligen Rummelsburger "Arbeitshäuser" in Lichtenberg werde Polizeipräsident Dieter Glietsch auch die unrühmliche Rolle des damaligen Reichskriminalpolizeiamtes thematisieren, kündigte die Polizei an. Bei der Aktion "Arbeitsscheu Reich" wurden etwa 10.000 von der Sicherheitspolizei als "asozial" klassifizierte Menschen, unter anderem aus Rummelsburg, in sogenannte Vorbeugehaft genommen und in Konzentrationslager verschleppt.
"S. ist als arbeitsscheuer Mensch bekannt, der nur notgedrungen Gelegenheitsarbeiten verrichtet, um seinen Lebensunterhalt zu fristen"; "D. ist ein arbeitsscheuer Mensch, der einer geregelten Arbeit nie nachgegangen ist" - so beschrieben die Nazis zwei von tausenden Menschen, die während des Dritten Reichs als "Asoziale" oder "Arbeitsscheue" verfolgt wurden. Heute ist ihr Schicksal weitgehend vergessen. Das soll sich nun ändern - mit der Gedenkveranstaltung und einer von der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe konzipierten Ausstellung, die zurzeit im Stadtmuseum Lichtenberg zu sehen ist. Sie zeichnet die Entrechtung dieser stigmatisierten Menschen nach.
Eine Tafel der Ausstellung dokumentiert etwa reißerische Zeitungsartikel nach einer "Bettlerrazzia" im September 1933, als mehrere zehntausend Wohnungslose verhaftet wurden. Auch in juristischen, kriminologischen und medizinischen Fachzeitschriften nahm der Kampf gegen "Asoziale" einen großen Raum ein, wie die auf einer Tafel präsentierten Titelblätter von acht Dissertationen verschiedener Fachrichtungen verdeutlichen. Ein Schwerpunkt der Ausstellung ist die Aktion "Arbeitsscheu Reich", bei der im Frühjahr und Sommer 1938 in zwei Verhaftungswellen mehr als zehntausend Menschen in Konzentrationslager gesperrt worden sind.
In der Ausstellung präsentierte Dokumente machen die enge Kooperation von Kommunen und Wohlfahrtsbehörden bei der Verfolgung deutlich. So forderte der Fürsorgeexperte Karl Mailänder das württembergische Innenministerium auf, dafür zu sorgen, dass Landräte und Polizeibehörden "die Verbringung asozialer Wanderer in ein Arbeits- oder Konzentrationslager in allen geeigneten Fällen" beantragen. Eines dieser Arbeitshäuser befand sich nicht weit vom Museum Lichtenberg an der Rummelsburger Bucht. Die genaue Zahl der Inhaftierten konnte bis heute nicht ermittelt werden. "Das Arbeitshaus und das Waisenhaus waren Sozialbauten, die vor dem Hintergrund der sich entwickelnden Hauptstadt und ihrer sozialen Probleme entstanden", heißt es lapidar auf einer Tafel des ehemaligen "Expo-Projekts Rummelsburg". Auf die NS-Zeit wird dort gar nicht eingegangen.
Das soll sich bis 2010 ändern. Bis dahin will der Bezirk Lichtenberg neue Informationstafeln zur Geschichte des Arbeitshauses aufstellen lassen, sagte die Leiterin des Museums Lichtenberg, Christine Steer, der taz. Nicht so lange warten will der Arbeitskreis "Marginalisierte - gestern und heute", der zu den Mitveranstaltern der Ausstellung "Wohnungslose im NS" und der heutigen Gedenkveranstaltung vor dem ehemaligen Verwaltungsgebäude gehört. Für Lothar Eberhardt vom AK Marginalisierte hat die Ausstellung nicht nur historische Bedeutung. Sie soll, genau wie die begleitende Film- und Veranstaltungsreihe, "zum Nachdenken über die Ausgrenzung von sozialen Außenseitern bis heute anregen".
Anlässlich des Jahrestages werden am Sonntag auch zwei Ausstellungen in der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen in Oranienburg eröffnet. Neben der von der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe konzipierten Dokumentation "Wohnungslose im Nationalsozialismus" würden zehn Lebensgeschichten von Menschen vorgestellt, die 1938 unter dem Stigma "asozial" nach Sachsenhausen verschleppt wurden, teilte die Gedenkstättenstiftung mit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!