Gedenken an Bücherverbrennung der Nazis: Der Krieg um die Bücher
Vor 91 Jahren verbrannten die Nazis tausende Bücher missliebiger Autoren. Ein Bibliotheksbesuch im Jüdischen Museum.
91 Jahre später hat Monika Sommerer einige Bücher auf dem weißen Empfangstresen der Bibliothek des Jüdischen Museums Berlin ausgelegt, deren Autoren damals verfolgt, verjagt und im günstigen Fall ins Exil gezwungen worden sind. Rund 20 Interessierte sind zu einer Bibliotheksführung auf den Spuren eines Verbrechens erschienen. Nein, dies ist keine Großveranstaltung. Aber ein angemessenes Gedenken dort, wo es hingehört: in die Bücherei.
Damals haben auch viele Bibliothekare an dem Versuch mitgewirkt, das kulturelle Gedächtnis zu löschen. Sie waren beteiligt, als die schwarzen Listen verfasst wurden, mit den Titeln der auszusondernden Literatur. Sie nahmen die Bücher aus den Regalen der öffentlichen und privaten Bibliotheken. Jüdische Büchersammlungen wurden geplündert und kamen in „Giftschränke“ der Bibliotheken, wurden meistbietend versteigert oder landeten auf dem Müll. Erst in den letzten Jahren hat man damit begonnen, die Erben der früheren Besitzer ausfindig zu machen, und ihnen die gestohlenen Werke zu übereignen. Das gelingt nicht immer.
Doch nicht nur die Bücher kamen 1933 auf schwarze Listen, sondern auch nicht angepasste Bibliothekare, sei es weil sie jüdischer Abstammung waren oder linke Ideen vertraten. Alleine in Berlin verloren 44 Bibliothekarinnen und Bibliothekare aus 18 Einrichtungen ihre Arbeit.
Empfindliche Erstausgaben
Manche der Bücher von damals sind heute kostbar und selten geworden. Im Jüdischen Museum stehen diese Werke nicht einfach in einem der Regale in der Präsenzbibliothek. Die Erstausgaben mit ihren kostbaren Schutzumschlägen kommen vielmehr aus dem Depot des Museums, wo sie staubgeschützt im Dunkeln lagern. Einige wenige Werke sind so empfindlich, dass Sommerer darum bittet, diese nicht zu berühren. Manche tragen ein Exlibris, aus dem der Name des früheren Besitzers hervorgeht.
Die Bibliothekarin Monika Sommerer kann zu jedem Buch und zu jedem Autor eine Geschichte erzählen. Von Oskar Maria Graf etwa, dem bayerischen Schriftsteller, dessen Werk „Wir sind Gefangene“ über die Räterevolution in München 1919 auf dem Tresen liegt. Die Nazis hatten es unterlassen, seinen Namen auf den Listen der verbotenen Schriftsteller zu vermerken. Graf meldete sich aus dem Ausland. „Verbrennt mich!“, forderte er. Graf wollte nicht in die falsche Gesellschaft der NS-Freunde geraten, er wollte bei seinen verfolgten Freunden sein. Oskar Maria Graf floh 1933 über die Tschechoslowakei in die USA. Er kehrte nie mehr nach Deutschland zurück, außer zu kurzen Besuchen.
Ganz anders sei es bei Anna Seghers gewesen, sagt Sommerer. Von der Schriftstellerin sind die Romane „Aufstand der Fischer“ und „Das siebte Kreuz“ ausgestellt. Letzteres Werk über die Flucht aus einem deutschen Konzentrationslager erschien erst 1942 mit einer beeindruckenden Einbandzeichnung in Seghers’ mexikanischem Exil, herausgegeben vom Verlag „el Libro Libre“, den deutsche Kommunisten wie Seghers gegründet hatten. Das Signet des Verlags zeigt ein aufgeschlagenes Buch, das ein Hakenkreuz zermalmt. Die Autorin kehrte nach 1945 zurück, lebte in Ostberlin und avancierte zur linientreuen SED-Genossin.
Die ausgestellten Bücher, erzählt Sommerer ihren Besuchern, gehörten George Warburg, der 1938 als Jude Deutschland verlassen musste und ein angesehener Bankier wurde, zuerst in Großbritannien, später in New York. Nach seiner Pensionierung begann er die Erstausgaben der Menschen zu sammeln, von denen nach dem Willen der Nazis niemand mehr hätte wissen sollen. Am Ende waren es etwa 400 Werke, die er dem Jüdischen Museum vermacht hat.
Wer kennt noch Gina Kraus?
Und da liegt nun eine kleine Auswahl auf dem Tresen, geschrieben von so unterschiedlichen Autoren wie Albert Einstein oder Else Lasker-Schüler, Franz Kafka und Gina Kraus. Es sind wissenschaftliche Werke darunter sowie Belletristik. Viele der verfolgten Schriftsteller waren Juden und deshalb doppelt bedroht. Magnus Hirschfeld war es gleich dreifach: als Jude, als Sozialdemokrat und als bekennender Schwuler. Nicht jeder Autor von damals hat es in das Gedächtnis von heute geschafft, viele sind doppelt bestraft und im Exil vergessen worden. Wer kennt etwa noch die Österreicherin Gina Kraus?
Das Ziel, missliebige Autoren zu „verfemen“, haben die Nazis jedoch nicht erreicht. Manche Schriftsteller von damals sind heute viel berühmter als zu Beginn der 1930er Jahre. Die Nazis haben nicht nur den Krieg verloren, sondern auch ihren Propagandafeldzug von 1933, als sie die Bücher verbrannten. Sie sind nämlich noch da, nicht nur in den seltenen Erstausgaben in der Museumsbibliothek, sondern in jeder Buchhandlung, als preiswertes Taschenbuch oder in feiner Leinenausgabe. Zwar bekommt man manches nur im Antiquariatshandel, manche Werke warten auf einen neuen Verleger. Aber sehr vieles ist erhältlich. Bitte greifen Sie zu.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Filmförderungsgesetz beschlossen
Der Film ist gesichert, die Vielfalt nicht