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Gedanklicher Winkelzug

■ betr.: „Die Flegeljahre der Repu blik“ (Rezension von Jan Fedder sen zu Wolfgang Kraushaars „Die Protest-Chronik 1949-1959), taz vom 21. 11. 96

Es scheint mittlerweile opportun, der 68er-Bewegung bei jeder nur möglichen Gelegenheit nicht nur das Gegenteil dessen zu unterstellen, was sie war, wollte und tat, sondern ihr auch Beliebiges anzudichten. So behauptet Jan Feddersen, daß „eine der größten Flunkereien, die die Generation der Achtundsechziger über sich gerne verbreitet“, die seien, „daß es in den Jahren zwischen 1945 („Befreiung vom Faschismus“) und 1967 („Unter den Talaren, Muff von tausend Jahren“) eigentlich wenig gegeben hat, was im Sinne von Rebellion und Widerstand der Rede wert war“. Ja war's denn nicht so!?

Sein gedanklicher Winkelzug ist nicht nur einem Selbstmißverständnis hinsichtlich der historischen Genese politischer Ereignisse geschuldet, sondern muß psychologisch interpretiert werden. Denn was bereits dem Alltagswissen immer klar war, schreibt Feddersen in seiner Buchbesprechung drei Spalten weiter selbst, indem er wiedergibt, daß die Empörung der 68er für die BRD eine Zäsur bedeutete, für die der Boden ein Jahrzehnt zuvor gelegt wurde. Fürwahr, so gab es in den Fünfzigern an einzelnen Universitäten eine militante Philosophie, die Ostermärsche und bis 1967 nicht nur im sexuellen Bereich eine Tendenz zur Liberalisierung. Soll das schon als Protest und Widerstand gelten? Eine Arbeiterbewegung gab es nicht mehr. Die war seit 1918 systematisch vernichtet worden. Der „Millionenprotest“ gegen die Wiederbewaffnung war schnell ausgetrocknet beziehungsweise trieb zur Erkenntnis, daß sie im Innern des Landes noch lebte und herrschte: die Reaktion. Demokratie wurde von außen verordnet. Die kurzfristige Nachkriegsprosperität wurde zum Begriffsklamauk namens „Wirtschaftswunder“. Feddersens sarkastische Bemerkung, daß „für die meisten es Jahre des Aufbruchs zu Sonnenschirm und Freizeit waren“, vergißt die Eliminierung Tausender von Biographien und den Tod vieler sehr junger Menschen. [...] Klaus Irmer, Frankfurt/Main

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