Geburtstags-Interview: "Das Leben ist ein ewiges Guantánamo"
Was ist Glück? Braucht man Freunde? Trifft sich Harald Schmidt heimlich mit Männern in Netzhemden? Fragen an Herbert Feuerstein zum 70. Geburtstag
taz: Herr Feuerstein, wie feiern Sie Ihren 70. Geburtstag?
Herbert Feuerstein: Überhaupt nicht.
Aber Ihre Frau wird doch bestimmt etwas vorbereitet haben?
Nein, das beruht auf Gegenseitigkeit. Eine solche Ehe kann nur funktionieren, wenn man sich über Fragen wie diese einig ist. Meine Frau ist geburtstagsmäßig genauso anspruchslos, weil sie alles hat, was eine Frau sich wünschen kann: mich. Was soll man da noch schenken?
Geboren am 15. Juni 1937 im österreichischen Zell am See als Sohn eines glühenden Nazis und einer hysterischen Mutter. Nachdem er vom Salzburger Mozarteum geflogen war, flüchtete Feuerstein 1960 in die USA, wo er neun Jahre lang für die New Yorker Staats-Zeitung arbeitete. Bekannt wurde Feuerstein nach seiner Rückkehr als Chefredakteur des Satiremagazins MAD, das den deutschen Wortschatz um Ausrufe wie "Lechz!", "Hechel!" und "Würg!" bereicherte. Im Fernsehen etablierte sich Feuerstein Ende der 80er im Rateteam von "Pssst", moderiert von Harald Schmidt. Ihrer Hassliebe widmeten die beiden von 1990 bis 1994 die Comedyshow "Schmidteinander" im WDR, Ausgangspunkt für viele weitere Auftritte ("Wochenshow", "Genial daneben", "Feuersteins Reisen") und diverse Buchprojekte. Im WDR läuft heute um 21.45 Uhr auch die Geburtstagssendung "Herr Feuerstein wird 70 und Herr Schmidt bejubelt ihn".
Können Sie "eine solche Ehe" genauer definieren?
Es ist meine dritte Ehe, und ich habe dazu gelernt.
Eine Fortgeschrittenen-Ehe also?
Genau. Es ist die dritte und mit Sicherheit letzte. Bis jetzt sind die Frauen immer an meiner Infantilität gescheitert. Meine Frau ist wunderbar - und wird dadurch noch wunderbarer, dass sie mich erträgt. Mein Gott, also ich selber könnte das nicht!
Warum reden Sie so ungern über Ihr Alter?
Ich habe eine Menge Sachen gemacht - von gut bis scheiße. Das Einzige, was ich nicht gemacht habe, ist meine Geburt. Ich sehe mich als Zufall, aus dem Nichts hineingeschmissen in ein Universum. Man hat mich nicht gefragt. Ich hatte auch keine Möglichkeit zur Abtreibung meiner selbst. Plötzlich war ich da. Warum sollte ich das feiern?
Weil Sie mittlerweile 70 Jahre durchgehalten haben zum Beispiel.
Ja gut, wenn Sie das Überleben an sich als Leistung sehen, dann ist es wahrscheinlich die einzige Leistung, zu der der Mensch fähig ist. Ich wüsste keine andere. Aber auch das ist kein Grund zum Feiern, sondern eher zum Abhaken. Ich habe einfach kein großes Feierbedürfnis, was auch daran liegt, dass ich kein Erfolgsgen habe. Ich bin manchmal zufrieden, meistens nicht. Es treibt mich etwas, das ich nicht steuern kann. Das hat mich in meiner Jugend manchmal wahnsinnig gemacht. Aber dann habe ich meine Rastlosigkeit als mechanische Bestimmung angenommen. Ich habe ja keine andere Wahl. Als ich das noch nicht wusste, in meiner Jugend, da war ich pleite, hypochondrisch, unglücklich und kurz vorm Tod. Jetzt bin ich immer noch kurz vorm Tod, aber nicht mehr pleite, wahnsinnig gesund und gelegentlich sogar froh.
Auch gelassener?
Absolut. Dabei hilft mir das österreichische "Is eh wurscht"-Gen.
Geben Sie den Humor-Opa im Fernsehen eigentlich gern?
Was halten Sie von Quotengreis? Dazu habe ich mich selbst mal ernannt, hat sich nur leider nicht durchgesetzt. Aber vergessen Sie bitte nicht, dass das Fernsehen nur ein kleiner Teil meiner Arbeit ist, der nur groß wird durch den Multiplikationsfaktor. Im Wesentlichen schreibe ich in der letzten Zeit Bücher, immerhin mittlerweile vier, oder kümmere mich um meine Musikpräsentationen, die zwar selten stattfinden, aber sehr viel Arbeit und Interesse fordern. Fernsehen ist für die Kohle da und dafür, dass man die anderen Sachen leisten kann, und vor allem natürlich, dass die Leute überhaupt kommen. Gegen die Verzerrung, die Auftritte im Fernsehen mit sich bringen, muss ich mich immer wieder wehren. Das klingt jetzt so, als würde ich das Fernsehen runtermachen. Aber das stimmt nicht. Ich habe dem Fernsehen unglaublich viel zu verdanken.
Bei Ihren ersten TV-Auftritten waren Sie schon über 50.
Stimmt. Ich hatte nie das Problem, als junger Mensch unbedingt ins Fernsehen zu wollen. Ich bin da ungebrochen reingegangen und bin es immer noch - auch wenn ich mir manchmal Peinlichkeiten leiste.
Für die Kohle?
Für den Trieb. Geld ist inzwischen kein Grund mehr. Ich bin nicht geldgierig. Wenn es da ist, schmeiße ich es sofort wieder raus, für luxuriöse Reisen
und für Ihre junge Frau?
Nein, überhaupt nicht. Die wird ja auch jedes Jahr älter - und der Abstand zwischen uns kleiner. Wenn irgendjemand mal doppelt so alt war wie sein Partner, ist er nach hundert Jahren nur noch zehn Prozent so alt. Rechnen Sie das mal durch!
Verblüffend.
Das glaubt man nicht, das vergessen die Leute leicht. Junge Leute sind ein enormes Risiko im Alter. Wer will mit einer Hundertjährigen verheiratet sein?
Wie fühlt es sich an, alt zu werden?
Um mit Woody Allen zu sprechen: Alt werden ist eine einzige Scheiße. Mein einziger Lebensfreund, der Spieleerfinder Alex Randolph, der fünfzehn Jahre älter war und mittlerweile gestorben ist, hatte eine ziemlich grauenhafte Endzeit. So was will ich nicht erleben. Bis 75 kann man vielleicht noch vom Saft zapfen, der Rest ist eine einzige Durststrecke. Mit Ausnahme natürlich von unserem jungen Freund Johannes Heesters, der wahrscheinlich so unsterblich ist, wie man das bisher immer nur von Mozart behauptet hat. Das Einzige, was mich wirklich interessiert, ist die Frage, ob man es schafft, sein Leben bis zum letzten Tag ungebrochen zu führen. Den Tod fürchte ich nicht. Es gab genug Situationen, da hätte ich ihn dem Leben sogar vorgezogen.
Haben Sie auch deswegen nie um Hilfe gerufen, als Sie mal dem Ertrinken nahe waren? Oder lag es wirklich nur daran, dass Sie niemanden zumuten wollten, sie zu retten, wie Sie mal gesagt haben?
Ich habe keinen Freundeskreis, halte mich fern von Kumpaneien. Ich brauch das nicht. Es gibt einen Punkt im Leben, an dem man sich entscheiden muss, ob man das, was man hat, annimmt oder ob man zeitlebens zum Psychiater rennt und versucht sich dagegen zu wehren, was auch nichts nützt. Annehmen ist leichter. Das Leben ist ein ewiges Guantánamo.
Sitzen wir auch deswegen hier auf dem Balkon, weil Sie keine Lust auf die Leute in der Lobby haben?
Da wird geraucht, und es reden außer mir auch andere Leute - unerträglich. Ich hätte Sie gern zum Frühstück eingeladen, meiner Hauptmahlzeit, aber mit vollem Mund unterhält es sich so schlecht.
Der WDR schenkt Ihnen eine Sendung zum Geburtstag. Konnten Sie das nicht verhindern?
Ach was. Es ist ehrenvoll, dass der alte Schmidt das übernommen hat, der ja immerhin zwanzig Jahre älter ist als ich. War ein schönes Gespräch, aber wahrscheinlich wird es boshaft zusammengeschnitten.
Danke, dass Sie den Namen als Erster erwähnen.
Gerne.
Eine Zeit lang hatte man das Gefühl, Sie wären nicht gut auf Harald Schmidt zu sprechen. Und plötzlich haben Sie bei der Neuauflage von "Pssst" mitgemacht.
Warum auch nicht? Schmidt schickte ein Fax: "Lust auf Pssst? Dann hab ich zurückgeschrieben: "Ja."
Nichts weiter?
Was soll man sonst dazu noch sagen? "Liebe Grüße" - oder so was? Um Gottes Willen!
Werden Sie sich die erste Folge der gemeinsamen Show von Harald Schmidt und Oliver Pocher anschauen?
Nein. Aber nicht aus mangelndem Respekt, sondern weil ich ganz wenig fernsehe. Ich werde mir auch meine eigene Geburtstagssendung nicht anschauen, ich war ja dabei.
Was halten Sie denn von Schmidts angekündigter Zusammenarbeit mit Pocher?
Das will ich gar nicht kommentieren. Pocher ist zwanzig Jahre jünger und Schmidt ist zwanzig Jahre älter - macht zusammen vierzig Jahre Altersunterschied, und sonst weiß ich eigentlich gar nichts. Wenn man ein bestimmtes Verhältnis zueinander hat und nicht zur Kumpanei neigt, will man ja auch nichts über die präferierten Sexualtechniken des anderen wissen.
Das verbindet Sie.
Die Sexualtechniken?
Nein, die Ablehnung von Kumpanei.
Auch das weiß ich nicht. Es könnte ja sein, dass Schmidt heimlich freitagabends in einen Bierkeller geht, um dort mit einer Runde von unrasierten Männern, die in Netzhemden da sitzen, Skat zu klopfen.
Wann waren Sie zuletzt mit jemandem ein Bier trinken?
Zum Essen kommt das schon mal vor. Nur so auf Bierchen eigentlich überhaupt nicht. Ich könnte mich zumindest nicht dran erinnern.
Sie kokettieren doch.
Nein, das ist keine Koketterie. Es gibt ein paar Freunde, die man einmal im Jahr in einer anderen Stadt sieht. Dann trinkt man natürlich einen Kaffee miteinander oder geht essen. Aber der Gedanke, jemanden anzurufen und zu fragen, ob wir uns mal eben auf ein Bierchen treffen wollen, der käme mir überhaupt nicht.
Seltsam.
Wieso? Wenn Sie in diesem Gefühl leben, ist es selbstverständlich. Erst wenn man danach gefragt wird, erschrickt man: Mein Gott, wieso bin ich so anders?!
Sind Sie glücklich, Herr Feuerstein?
Ja und nein. Ich bin zufrieden, aber nicht glücklich. Und der Rest der Antwort sind mehrere noch ungeschriebene Bücher. Schon die Definition fällt schwer: Was ist Glück? Was ist denn das für Sie?
Ziemlich genau das Gegenteil folgender Aussagen: "Der Tod ist seit meiner Jugend mein Freund und Gefährte." - "Noch bin ich nicht tot, nicht ganz jedenfalls."
Tja, wenn Sie die Zitate so hintereinander weglesen. Da sind vielleicht Jahrzehnte dazwischen.
Augenblick, ich bin noch nicht ganz fertig: "Das Leben ist grauenhaft." - "Ich fühle mich überall gleich unwohl." - "Die Welt ist sinnlos, man selbst auch." - "Ich fühle mich nicht nur schuldig, ich bin es." Du meine Güte!
Das ist ja großartig. Da sind jetzt nur noch Minuten dazwischen.
Eher deprimierend, oder?
Man könnte dagegen halten: Was spricht denn aus diesen Zitaten? Daraus spricht der kleine Jude, der sich vor der Strafe Gottes fürchtet und sich für alles schuldig fühlt - damit der liebe Gott irgendwann sagt: Meine Güte, der leidet ja schon so sehr unter sich selbst. Den müssen wir in Ruhe lassen. Aber so trostlos wie in Ihrer Aufzählung ist mein Zustand mit Sicherheit nicht. Auch ich habe meine kleinen Glücksmomente: Es gab zum Beispiel ein sehr gutes Bircher-Müsli zum Frühstück. Aber das Negative ist da und möchte überwunden werden. Zum Beispiel die Miso-Suppe. Die war dünn, und es fehlten wichtige Zutaten.
Sind wir nicht auf der Welt, um glücklich zu sein?
Um rundum glücklich zu sein, muss man dumm sein und unsensibel und die Augen schließen. Wir sind aber auch nicht auf der Welt, um unglücklich zu sein. So einfach ist das nicht. Wir sind auf der Welt. Basta! Damit sind wir auch wieder beim Thema Geburtstag: Man ist da, man muss da durch.
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