Gebühren-Gerangel in Hamburg: Tote Pferde auf der Reeperbahn
Rot-Grün will, dass die Hamburg sauberer wird. Die Kosten sollen Touristen tragen, nicht Anwohner. Trotzdem erntet der Vorstoß nur Kritik.
Beschlossen wurde die Sache im Sommer dieses Jahres vom Senat. Woraufhin nach beendeter Sommerfrische, im September, Grundeigentümer- und Mietervertreter, CDU, FDP und Steuerzahlerbund in teils selten zu erlebender Eintracht an die Öffentlichkeit traten und murrten: Ungerecht sei die geplante Gebühr und durch nichts gerechtfertigt, denn auch in Hamburg sprudelten doch die Steuereinnahmen. CDU und FDP sprachen gar von „Abzocke“.
Um die Orientierung zu erleichtern: Nach den Plänen von Kerstans Umweltbehörde sollen alle Grundstückseigentümer ab dem nächsten Jahreswechsel zur Kasse gebeten werden – in Höhe von 59 Cent je „Grundstücksfrontmeter“. Das würde sich in vielen Straßen jeweils auch noch auf etliche Mietparteien verteilen.
Vorletzter Aufzug im kleinen Sommertheater: Die örtliche Bild konnte am Mittwoch von einem SPD-Plan berichten. Demnach hat sich der vor Längerem schon vom Bezirksamtsleiter-Paulus zum Immobilienbranchen-Saulus gewandelte, nebenbei auch noch für die SPD im Parlament sitzende Markus Schreiber überlegt, wie die Straßen sauberer werden können, ohne damit den Zorn potenzieller Wähler auf sich zu ziehen: Man lässt einfach Leute bezahlen, die nur zu Besuch sind!
Ein hohes Maß an Sauberkeit im Stadtbild trage „wesentlich zur Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum bei“, erklärte der Senat in einer
. Diese umfasste auch den Entwurf für Novellierungen der Hamburgischen Wege- und Abfallgesetze sowie des Stadtreinigungsgesetzes.Zur Finanzierung der vorgesehenen Maßnahmen, heißt es, „soll künftig wie in anderen Großstädten von den Anliegerinnen und Anliegern eine neu einzuführende Straßenreinigungsgebühr erhoben werden“.
Auf Anfrage des Blattes bestätigte SPD-Fraktionschef Andreas Dressel, man diskutiere in der Koalition, ob die Sauberkeitsoffensive durch eine Erhöhung der „Bettensteuer“ zu stemmen sei, also der Abgabe, die in Hamburg Übernachtende entrichten, die nicht aus beruflichen Gründen hier sind. Dressel warnte aber auch gleich vor überzogenen Erwartungen: Man nehme derzeit 15 Millionen Euro jährlich mit der Tourismus-Taxe ein, da seien 26 Millionen Euro mehr schlicht „nicht drin“, wie er sagte.
Am selben Tag übrigens wurde bekannt, dass der US-Reiseführer „Lonely Planet“ die Stadt in eine Liste attraktiver Destinationen des kommenden Jahres aufgenommen hatte. Was noch mehr Touristen bedeuten könnte und also potenziell höhere Einnahmen. Beifall bekam die nun kursierende Finanzierungsidee trotzdem keinen: Der Bund der Steuerzahler sprach von einem „Ablenkungsmanöver“, und „Gastfreundschaft sieht anders aus“, gab sich der Deutsche Tourismusverband verschnupft. Die CDU schließlich mahnte, Rot-Grün solle absteigen von diesem „toten Pferd“.
Am Freitagnachmittag signalisierte Kerstan, im Senat denke man darüber nach, „wie wir für die Sauberkeitsoffensive zusätzliche Haushaltsmittel bereitstellen können, um bei der Gebühr zu einer Entlastung zu kommen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Die Wahrheit
Der erste Schnee
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten