Gebrochene Versprechen in Kiel: Transparenz wird vertagt
Schleswig-Holsteins Abgeordnete sollten ihre Nebeneinkünfte genau offenlegen. So steht es im Koalitionsvertrag. Jetzt bekommt es der Landtag nicht mal hin, in ein Stufenmodell zu beschließen.
Die Landesregierung von Schleswig-Holstein scheint ihren Koalitionsvertrag vergessen zu haben: Heute sollte im Landesparlament ein Gesetz verhandelt werden, nach dem die Abgeordneten ihre Nebeneinkünfte offenlegen müssen. Laut dem Internetportal abgeordnetenwatch.de widerspricht die geplante Regelung den Forderungen des Koalitionsvertrags.
Die Sprecherin der Grünen Claudia Jacob sagte der taz, der Entwurf werde wegen der „dichten Tagesordnung“ direkt in den Innen- und Rechtsausschuss überwiesen. „Wir wollen versuchen, gemeinsam mit der Opposition eine Regelung zu schaffen, die von einer Mehrheit des Landtags mitgetragen wird“, sagt Burkhard Peters, Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion für Innen- und Rechtspolitik. So solle das Gesetz auch wechselnde Mehrheitsverhältnisse überstehen. Die zweite Lesung mit mündlicher Aussprache finde daher erst 2017 statt.
„Ich halte eine Komplettveröffentlichung auf Euro und Cent für die beste Lösung“, sagte Marret Bohn, Fraktionsgeschäftsführerin der Grünen in Schleswig-Holstein, vor zwei Jahren zu abgeordnetenwatch.de und vertrat damit auch die Position der Grünen auf Bundesebene. Im Eckpunktpapier der SPD-Fraktion im Bundestag mit dem Titel „Auf Euro und Cent“ steht: „Das plant auch die von Torsten Albig geführte Landesregierung in Schleswig-Holstein.“
Bisher müssen die Landtagsabgeordneten dort lediglich angeben, welchen Nebentätigkeit sie nachgehen und für wen sie arbeiten. Daraus resultierende Einkünfte werden aber nicht offengelegt. Das wollte die Landesregierung ändern und sich laut Koalitionsvertrag dabei am Modell des Bundestags orientieren. Dieses solle jedoch um die „Pflicht zur genauen Ausweisung der Höhe der Nebenverdienste“ ergänzt werden.
Laut Lobbycontrol müssen bisher nur Abgeordnete in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Saarland ihre Nebeneinkünfte aufdecken.
In Schleswig-Holstein sind in einem neuen Gesetz folgende Stufen geplant: Stufe 1 bis 1.000 Euro, Stufe 2 bis 2.500 Euro, Stufe 3 bis 5.000 Euro, Stufe 4 bis 10.000 Euro, Stufe 5 bis 20.000 Euro, Stufe 6 bis 40.000 Euro, Stufe 7 bis 60.000 Euro. Alle weiteren Stufen werden fortlaufend um 30.000 Euro erhöht.
Auf Bundesebene gibt es zehn Stufen. Dort ist es gerade bei hohen Nebenverdiensten sehr viel ungenauer.
Der aktuelle Gesetzentwurf sieht ein Stufenmodell vor (siehe Infokasten). Werden Einkünfte in Stufen angegeben, ist insbesondere bei höheren Summen unklar, wie hoch sie tatsächlich sind. „Bei einem Stufensystem entsteht eine intransparente Grauzone“, sagt Martin Reyher von abgeordnetenwatch.de. „Wer sich nicht täglich damit beschäftigt, versteht die Angaben überhaupt nicht.“
Die vorgesehenen Stufen sind zwar genauer als jene im Bundestag, entsprechen aber nicht den Formulierungen des Koalitionsvertrags. „Unser Druck zeigt endlich Wirkung“, sagt Patrick Breyer, Fraktionsvorsitzender der Piraten, „SPD, Grüne und SSW haben die unbequeme Transparenz jahrelang verschleppt.“ Der Gesetzesentwurf ist in seinen Augen jedoch nur ein „fauler Kompromiss“. „Die genaue Höhe der Nebenverdienste wird nicht angegeben“, so Breyer.
Der Pirat kritisiert ebenfalls, dass die Nebeneinkünfte erst nach der Landtagswahl im nächsten Jahr publiziert werden. Er sagt: „So haben die Wähler keine Chance, von der Industrie bezahlte Abgeordnete vorher zu erkennen.“ Erst im vergangenen Jahr habe der Landtag einen entsprechenden Gesetzentwurf der Piraten abgelehnt.
Für Burkhard Peters von den Grünen ging der Vorschlag der Piraten zwar in die richtige Richtung, sei aber auch ein „bürokratisches Monster“ gewesen. Der aktuelle Gesetzentwurf enthalte „deutlich feinere und unbegrenzt viele Stufen“. Die Höhe der Nebenverdienste sei daher „sehr genau nachzuvollziehen“.
Bereits jetzt könnten interessierte BürgerInnen die Nebentätigkeiten der Grünen-Landtagsabgeordneten auf der Homepage nachvollziehen. Aber auch die sind nur in Stufen angegeben. Ob fehlende Transparenz den Politikfrust steigere, beantworteten die Grünen nicht.
Die Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion Petra Bräutigam wiegelt ab. „Wir haben nirgendwo festgeschrieben, dass wir die Nebeneinkünfte auf Euro und Cent offenlegen wollen.“ Die „genaue Ausweisung“, wie es im Koalitionsvertrag heißt, sei „relativ“ zu verstehen, erklärt sie. Das sei auch gar nicht anders möglich, „sonst rebellieren die Betroffenen“. Da es die erste Lesung sei, könne sich außerdem noch viel ändern.
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