GdP-Chef über Bauernproteste: „Ein Angriff auf die Demokratie“
Traktoren auf Protesten sind gefährlich. Nach der Eskalation in Brüssel fordert Jochen Kopelke, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, ein Verbot.
taz: Herr Kopelke, wie schätzen Sie das aktuelle Protestgeschehen in Europa und in Deutschland ein?
Jochen Kopelke: Die Proteste in Brüssel waren ein Angriff auf die Demokratie. Die Intensität, die Gewalt und die Gefahren, die mit den Aktionen einhergegangen sind, haben auf Verfassungsorgane gezielt. Und in Deutschland war es sehr auffällig, dass insbesondere Veranstaltungen der Grünen durch Proteste behindert wurden. Wenn politische Versammlungen verhindert werden und demokratische Prozesse nicht mehr stattfinden können, ist das ein Angriff auf unser politisches System und auf den Parlamentarismus.
Jahrgang 1984, ist Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Zuvor war er viele Jahre Polizeiführer in Bremen.
Sie haben nach der Verhinderung des politischen Aschermittwochs der Grünen in Biberach ein Traktorenverbot auf Demonstrationen gefordert …
Ja, von diesen schweren Arbeitsmaschinen geht eine Riesengefahr aus, schon im normalen Alltag: Bei Unfällen geht es gleich um Schwerverletzte oder Tote. Wenn das auf einer Demonstration mit einer aufgebrachten Menge zusammenkommt, die anfängt, unfriedlich zu werden, wird’s schnell gefährlich. Deshalb brauchen wir mindestens eine Begrenzung dieser Fahrzeuge auf Demonstrationen. Die gehören da nicht hin.
Ist die Polizei auf weitere Traktorblockaden vorbereitet?
Grundsätzlich kann die Polizei mit solchen Versammlungen umgehen. Wir haben Taktiken, bestimmte Einheiten und Spezialfähigkeiten, die sicherstellen, dass die Polizei ihrem Auftrag nachkommt. Eingeschränkt handlungsfähig sind wir nur dann, wenn wie Anfang des Jahres Tausende von Zugmaschinen und Arbeitsmaschinen zusammenkommen, und wir schnell viele Kräfte durch die Republik verlegen müssen.
Sie haben auch von einer zunehmenden Aggressivität gegen Polizistinnen und Polizisten gesprochen. Können Sie das weiter ausführen?
In den hochemotionalen Versammlungen, die wir seit Mitte des letzten Jahres und während der Coronazeit erlebt haben, kommt es immer wieder zu Konflikten. Bei Uniformträgerinnen und Uniformträgern entlädt sich der Frust zuerst – verbal aggressiv, aber auch, wie wir das jetzt erleben, mit Steinen, Flaschen und Pyrotechnik. Qualitativ gibt es zwar noch einen Unterschied zu Belgien, Frankreich, Polen oder den Niederlanden. Aber die eine oder andere radikale Protestform schwappt doch zu uns herüber.
Wie entwickeln sich die Bauernproteste in Deutschland?
Wir sehen einen Unterschied zwischen den sehr großen Versammlungen, die die Bauernverbände und andere Organisationen Anfang des Jahres angemeldet haben, und den zuletzt eher kleinen Protesten. Dort sind die Verantwortlichkeiten nicht mehr klar – das ist ein Nährboden für Extremisten. Andere Gruppen können an solche unstrukturierten, nicht vorbereiteten Versammlungen leicht anknüpfen und sie unterwandern. Deswegen fordere ich jeden dazu auf, sich von unfriedlichen Protesten zu distanzieren. Das gilt nicht nur dann, wenn es gewalttätig wird, sondern auch im Vorfeld schon, wenn man Galgen sieht, oder wenn Bedrohungen stattfinden.
Ist das auch als Appell an Organisationen wie die Freien Bauern und LSV Deutschland zu verstehen, die wiederholt zu kleineren Protesten und Blockaden aufgerufen haben?
Das stimmt. In Teilen distanzieren sich die Verantwortungsträger der Demonstration im Anschluss von den Gewalttätigkeiten, aber ein früherer Schritt wäre notwendig: Den Ausschluss von einer Versammlung muss in der Regel die Versammlungsleitung vornehmen, davon muss man aber auch Gebrauch machen.
Sie haben vorhin auch die Corona-Demonstrationen angesprochen. Sehen Sie bei den Protestformen eine Verbindung?
Nein, da sehe ich keinen Zusammenhang. Höchstens, dass wir zunehmend feststellen, dass bestimmte Milieus und Gruppen sich in jede dieser Versammlung einklinken und die Proteste unterwandern. Allgemein wird die Ausübung der Versammlungsfreiheit aber kreativer. Wir haben in den letzten fünf Jahren, glaube ich, schon fast alles erlebt: Menschen, die sich auf die Fahrbahn kleben, die sich in Traktoren setzen, die mit Fluggeräten in Stadien fliegen. Wir haben Unterwasser-Demonstrationen gesehen, und Proteste auf Booten. Das stellt die Polizeibehörden vor enorme Herausforderungen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Misogynes Brauchtum Klaasohm
Frauenschlagen auf Borkum soll enden
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz