piwik no script img

Gaza-KriegAusgeliefert in Gaza

Israel lässt minimale Hilfe in den Gazastreifen. 22 Länder protestieren deswegen. Drei Länder drohen Israel erstmals mit Sanktionen.

Vertriebene Palästinenser im östlichen Chan Junis: ein israelisches Flugblatt warnt vor einem bevorstehenden Groß­angriff Foto: Abed Rahim Khatib/dpa

Kairo taz | Es ist, als habe Israel in den letzten Tagen eine unsichtbare rote Linie überschritten. Netanjahus Ankündigung, wieder „minimale Hilfslieferungen“ zuzulassen, sei „vollkommen unzureichend“, heißt es in einer Erklärung Frankreichs, Großbritanniens und Kanadas. Dort wird nicht nur ein Ende der Offensive gefordert – sondern auch, dass in Zusammenarbeit mit der UNO, gemäß humanitärer Prinzipien, wieder ausreichend Hilfsgüter in den Gazastreifen kommen. Wenn das nicht geschehe, werden konkrete Aktionen angedroht und selbst Sanktionen nicht ausgeschlossen. 22 Länder, darunter Deutschland, haben eine weitere, weniger scharfe Erklärung unterzeichnet. „Genehmigen Sie unverzüglich die vollständige Wiederaufnahme von ­Hilfslieferungen in den Gazastreifen und ermöglichen sie es den Vereinten Nationen und den humanitären Organisationen, unabhängig und unparteiisch ihre Arbeit zu verrichten, um Leben zu retten“, heißt es dort ohne Androhung von Konsequenzen.

Das internationale Guthaben des guten Willens gegenüber Israel scheint langsam aufgebraucht, obwohl Netanjahu doch nun erstmals nach zweieinhalb Monaten Totalblockade wieder Hilfslieferungen zulässt. Das liegt zunächst an der Quantität der Hilfslieferungen. In Netanjahus Ankündigung selbst war von „minimaler Hilfe“ die Rede. „Wir sollten nicht die Situation einer Hungersnot erreichen, aus praktischen und diplomatischen Gründen“, sagte er.

Nach dieser Ankündigung lies die israelische Armee am Abend nach unterschiedlichen Meldungen fünf bis neun Lkws in den Gazastreifen. Nach UN-Angaben wären am Tag 500 Lkws nötig, um die Bevölkerung mit dem Nötigsten zu versorgen. Aufgrund des internationalen Drucks hat Israel der UN am Dienstag versprochen, 100 Lkws hineinzulassen. Aber auch das ist nicht genug. „Wir müssten Gaza mit Hilfslieferungen überfluten“, erklärte der UN-Koordinator für humanitäre Angelegenheiten, Tom Fletcher.

Netanjahu erklärte, dass die wenigen zugelassenen Hilfslieferungen weitergehen, bis ein Plan in Kraft treten soll, der auch von der US-Regierung unterstützt wird, laut dem das israelische Militär und private Firmen bis Ende des Monats mehrere Verteilungszentren für Hilfslieferungen aufbauen sollen. Diese sollen von privaten Sicherheitsdiensten gesichert werden, die die Hilfslieferungen auch in den Gazastreifen begleiten sollen. Verhindert werden soll dadurch, dass die Lieferung von der Hamas gestohlen werden. Das Thema sei nie signifikant gewesen, betonen internationale Hilfsorganisationen und bestreiten den Vorwurf, der auch von israelischer Seite nicht als wesentlich gilt. Künftig soll die neu gegründete, bisher unbekannte Gaza Humanitarian Foundation (GHF) die Hilfslieferungen koordinieren.

Nach UN-Angaben wären am Tag 500 Lkws nötig, um die Bevölkerung mit dem Nötigsten zu versorgen

Was immer geplant ist, ist zu wenig

Deren Leiter, James Wood, ein Militär-Veteran der US-Marines, spricht in einem Interview mit der US-Fernsehstation CNN davon, dass bis Ende des Monats drei Verteilungszentren im südlichen und eines im zentralen Gazastreifen geplant seien. Die UNO hatte bereits davor gewarnt, dass die Auswahl der Örtlichkeiten als ein Teil des vom israelischen Verteidigungsminister Israel Katz verkündeten Planes sein könnte, die Bevölkerung aus dem Norden in den Süden zu vertreiben.

Etwas, das Wood vehement abstreitet. Er spricht davon, dass 30 Tage, nachdem die Arbeit der Verteilung begonnen hat, auch zwei Zentren im Norden entstehen sollen. Klar ist, was immer geplant ist, es ist zu wenig. Im Moment plant die Organisation, in den ersten 90 Tagen operativ zu sein. Man werde versuchen, 60 Prozent der Bevölkerung zu versorgen. Bei der UNO und anderen internationalen Hilfsorganisationen trifft dieser Plan auf heftige Kritik. Der UN-Koordinator für humanitäre Angelegenheiten, Fletcher, erklärte, dass keine Zeit mit alternativen Plänen zur Versorgung der Menschen in Gaza verschwendet werden solle.

Laut dem ägyptischen Roten Halbmond warten derzeit über 1.200 beladene Lkws auf der ägyptischen Seite auf die israelische Genehmigung. Hilfsorganisationen warnen auch davor, dass die wenigen Verteilzentren dazu führen werden, dass Menschen lange und gefährliche Wege in Kauf nehmen müssen, um an Nahrungsmittel zu gelangen, wenn sie aufgrund ihres körperlichen Zustandes überhaupt dazu fähig sind.

Frühere UN-Hilfslieferungen nutzten ein dichtes Verteilungsnetz im Gazastreifen. Das neue System mit wenigen Ausgabestellen könne zur Entvölkerung ganzer Gebiete führen, warnt Shaina Low vom Norwegian Refugee Council. Die Hilfslieferungs-Weißwasch-Pläne Netanjahus, die bisher auch von der US-Regierung unterstützt werden, werden auch in der von Kanada, Großbritannien und Frankreich gezeichneten Erklärung kritisch gesehen, die auch Sanktionen gegen Israel androhe.

Das könne nur in Zusammenarbeit mit der UN geschehen und dabei müsse sichergestellt werden, dass die Hilfslieferung in Übereinstimmung mit humanitären Prinzipien verlaufen, heißt es dort. Noch ausführlicher geht die von Deutschland unterschrieben Erklärung darauf ein. „Berichten zufolge hat Israels Sicherheitskabinett ein neues Konzept für die Lieferung von Hilfsgütern nach Gaza gebilligt, das die UN und unsere humanitären Partner nicht mittragen können“, heißt es dort.

Auf Anfrage der taz, warum sich Bundeskanzler Friedrich Merz nicht an die schärfere Erklärung der Staatschefs Frankreichs, Großbritannien und Kanada angeschlossen hat, die Israel mit Sanktionen droht, erklärte Regierungssprecher Stefan Kornelius, dass der Bundeskanzler vor der Erklärung der drei Staatschefs weder angefragt worden war, noch sei diese mit ihm abgesprochen worden. Friedrich Merz zeige sich aber zunehmend besorgt über die humanitäre Lage in Gaza.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Es wird immer zu wenig bleiben, weil es so sein soll.



    Oder erwartet jemand einen "ehrlichen Krieg"?

    Die Lieferungen werden so gelenkt werden, dass die Menschen sich in die erzwungene Richtung bewegen müssen, um etwas bekommen zu können.