Gauck würdigt literarische Übersetzer: Wir können einander verstehen
Bundespräsident Gauck empfing am Mittwoch Übersetzer im Schloss Bellevue. Als Anerkennung für ihre Arbeit – die oft unsichtbar ist.
Ein tiefes Seufzen ging durch den großen Saal von Schloss Bellevue mit seinen Kronleuchtern und seinem glänzendem Parkett. „Je besser man seine Arbeit macht, desto unsichtbarer wird man“, hatte Leila Chammaa, Übersetzerin aus dem Arabischen, gerade gesagt und damit vielen der Anwesenden aus dem Herzen gesprochen.
Der Saal im Amtssitz des Bundespräsidenten in Berlin war voller literarischer Übersetzer, Dolmetscher und Hintergrundarbeiter des deutschen Übersetzerwesens, bestimmt 400 Menschen. Viele von ihnen hatten sich tief verstanden gefühlt in ihrem Schicksal, zwar wichtig zu sein für die Vermittlung fremdsprachiger Literatur, aber dafür nicht wahrgenommen zu werden.
Doch dann ergriff Rosemarie Tietze das Wort und sah das anders. Spätestens seit ihrer gefeierten Übersetzung von Tolstois „Anna Karenina“ ist Tietze eine Art Star der deutschen Übersetzerszene. So etwas wie Duldhaftigkeit wollte sie ihren Kolleginnen und Kollegen nicht durchgehen lassen. Es sei ein Fehler der Übersetzer, sagte sie, wenn sie sich selbst als unsichtbar darstellen. Stattdessen betonte sie die schöpferischen Aspekte des Übersetzens und sagte: „Eine gute Übersetzung ist es dann, wenn es das Werk der Übersetzerin selbst ist.“
Mit diesen beiden Sätzen, dem von Leila Chammaa und dem von Rosemarie Tietze, ist die ambivalente Gemütslage der deutschen Übersetzerinnen und Übersetzer gut abgebildet, zwischen Melancholie und einem Selbstbewusstsein, das tatsächlich angebracht ist.
Nicht nur was die schiere Menge angeht, von der Anzahl übersetzter Bücher ist der deutsche Sprachraum der größte Übersetzungsmarkt der Welt. Sondern auch in Bezug auf die Qualität. Schließlich gibt es eine Fülle meisterlicher Übersetzungen. Man braucht nur an „Unendlicher Spaß“ von David Foster Wallace zu denken. Auch sein Übersetzer Ulrich Blumenbach war im Schloss Bellevue dabei.
Übersetzung als Kunst
Der Bundespräsident hatte an diesem Mittwoch zu einem „Abend zur Würdigung der Kunst des literarischen Übersetzens“ geladen, so der etwas umständliche, aber auch schöne Titel, der das literarische Übersetzen als Kunst eigenen Rechts würdigte.
Es war ein würdiger Abend in dieser Staatskulisse, an dem Joachim Gauck seine präsidiale Funktion, gesellschaftliche Anerkennung zu geben, überzeugend und auch mit freundlicher Lockerheit ausfüllte. Die Rede, die er am Beginn hielt, war klug. Aus der Tatsache, dass es überhaupt Übersetzer gibt, leitete er den Satz ab: „Wir können einander verstehen.“
Dem gab er, ohne das zu überziehen, einen leichten Spin gegen Theorien von einem Kampf der Kulturen. Mit selbstironischer Anspielung auf seine Pastorenvergangenheit deutete er das Pfingstfest mit seiner Lehre vom friedlichen Nebeneinander verschiedener Sprachen als Revision der Stelle vom Turmbau zu Babel im alten Testament, an der Mehrsprachigkeit noch als Durcheinander gewertet worden war. Und er kam auf die prekäre finanzielle Lage vieler Übersetzer zu sprechen, die Gauck bedauerte, weil sie dem gesellschaftlichen Verdienst, den Übersetzer hätten, keinen Ausdruck geben würde.
Kein literaturkritischer Diskurs, aber unterhaltsam
Péter Esterházy las aus seinem Roman „Harmonia Caelestis“ und Terézia Mora ihre Übersetzung dieser Stelle. Neben Rosemarie Tietze und Leila Chemmaa saß der Shakespeare-Übersetzer Frank Günther auf dem Podium. Der Lyriker Jan Wagner trug seine Übersetzung von Kevin Youngs Gedicht „Errata“ vor und die italienische Übersetzung seines eigenen Gedichts „Koalas“. Zwischendurch musikalische Untermalung.
Nun gut, das war weder Subkultur, noch ernsthafte Übersetzertagung, noch literaturkritischer Diskurs. Aber unterhaltsam.
Erkennbar hat das Bundespräsidialamt sich bei dem Programm große Mühe gegeben. Wie Joachim Gauck in seiner Rede selbst betonte, steckte seine Lebensgefährtin Daniela Schadt als Anregerin und Motor dahinter. Bis nach Mitternacht konnte man beide noch im angeregten Gespräch mit vielen Übersetzerinnen und Übersetzern sehen. Mehr als ein hochoffizielles Schulterklopfen war nicht drin, wie denn auch, bei so einem Anlass.
Man muss so einen Abend nicht überbewerten, aber immerhin hatte die Übersetzerszene jetzt, im übertragenen Sinn, ihre 15 Minuten staatsoffiziöser Anerkennung.
In unserer Wochenendausgabe finden Sie ein Interview mit Dirk van Gunsteren, der u. a. Thomas Pynchon ins Deutsche übersetzt.
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