Gastronomie-Trend Kochen mit Feuer: Verbrenner doch noch gefragt

In immer mehr Spitzenrestaurants wird über offenem Feuer gekocht. Ist das eine gute Idee oder nur der neue heiße Scheiß?

Mit Kräutern garnierte Fleischstücke liegen in einer Pfanne, die wiederum in einem offenen Feuer liegt

Wie geht noch mal das Sprichwort? Wer die Hitze nicht verträgt, hat in der Küche nichts verloren Foto: Ludovic Maisant/hemis/laif

Unterwegs in Lissabon, kurz nach Sonnenuntergang. Es ist noch lauwarm auf den Straßen und wir sind auf dem Weg ins „Fogo“. Das heißt Feuer, aber darüber machen wir uns erst mal noch keine Gedanken. Vor Ort werden wir vom Kellner durch einen schlauchförmigen Speisesaal im Souterrain direkt an die Theke gelotst. Vor uns: eine offene Küche.

Aber was für eine! Im Fogo wird ausschließlich mit offenem Feuer gekocht. Das heißt, alle Küchenstationen, an denen Speisen erhitzt werden, haben eine eigene Feuerstelle mit tanzenden Flammen: In einem Holzkohle-Steinofen wird frisches Brot gebacken, auf einem Mini-Grill werden Vorspeisen zubereitet, in einer großes Feuerstation an der hinteren Wand der Küche steht einen gusseiserner Topf in der Glut, daneben hängen Grillroste, auf denen das Essen direkt gegrillt oder in Eisenpfannen gebraten wird.

Anders als man es womöglich von einem Feuer-Restaurant erwartet, kommt die Karte mit erstaunlich wenig Fleischgerichten aus. Zu Beginn gibt es für uns jeweils eine Auster. Und zwar eine gegrillte. Dass die so zubereitet schmecken kann, hatten wir nicht erwartet – doch sie ist der Wahnsinn: das Fleisch kurz und nur lauwarm gegart, mit einem Spritzer Petersilienölreduktion und etwas Schnittlauch.

Überraschend sparsam eingesetztes Raucharoma

Wir machen weiter mit Meeresfrüchten. Die gegrillten Messermuscheln mit Knoblauchscheiben und frischer Zitrone schmecken rauchig-zart. Dann das Hauptgericht, ein knusprig gegrillter Rochen mit einer verboten gehörenden Buttercremesoße, knackigen Spinatblättern und zart gegarter Zucchini. Das Spiel mit den Konsistenzen trägt durch den Abend. Dazu überzeugt, dass das Raucharoma überraschend sparsam – aber gezielt – eingesetzt wird. Auch beim Nachtisch: eine im Holzkohleofen gebackene Limetten-Meringue-Tarte, die Baiser-Spitzen über offenem Feuer rauchig flambiert.

Kochen über offenem Feuer ist die wahrscheinlich älteste Garmethode überhaupt. In vielen Kulturen wird es bis heute zelebriert: In Japan gibt es Iza­kaya-Bistros, in denen es ausschließlich Grillgerichte gibt. In brasilianischen Rodizio-Restaurants schneiden die Kell­ne­r:in­nen dicke Scheiben von frisch gegrillten Fleischspießen am Platz direkt auf den Teller. In einer traditionellen türkischen Ocakbaşı sitzen die Gäste um den Grill angeordnet. Und was wären die USA kulinarisch ohne ihre Barbecue-Kultur? In der Gesellschaft ist das Kochen mit Feuer bis heute beliebt. Aus den westlichen Profiküchen ist es jedoch weitgehend verschwunden.

Im unteren und mittleren Preissegment verwundert das nicht, schließlich sind Gasherde viel präziser und effi­zienter als offenes Feuer. In der gehobenen Gastronomie gibt es hingegen schon länger den Trend, Restaurants mit klar definierten Konzepten zu versehen. Hier erschien das offene Feuer lange wohl zu plump gegenüber der experimentellen Molekularküche oder dem New-Nordic-Fermentier-Trend. Doch das ändert sich gerade.

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Schließlich boomen gerade Konzepte wie „Nose to Tail“, bei dem es darum geht, wie Jahrhunderte üblich möglichst alle Teile vom Tier zu verbrauchen, um den Fleischkonsum nachhaltiger zu gestalten. Oder das in vielen deutschen Großstädten aktuell beliebte „From Farm to Table“, beziehungsweise „Radikal lokal“. Damit werden nicht nur die großstädtische Landlust-Sehnsüchte angesprochen, sondern auch zu wenig beachtete, schon fast in Vergessenheit geratene regionale Gemüse­sorten wieder in den Fokus gerückt und raffiniert kombiniert.

Rückbesinnung auf das ­Simple, Archaische, Ungenaue

Die Feuerbewegung setzt diese Trends fort, indem sie sich auf uralte Kochtechnik konzentriert und mit Holz statt Gas als Energieträger sogar Nachhaltigkeit für sich beanspruchen kann. Sie ist eine Rückbesinnung auf das ­Simple, das Archaische, auch durchaus auf das Ungenaue, ähnlich wie bei den Retro-Trends zur analogen Fotografie und dem Sammeln von Vinylschallplatten.

Nicht alle Restaurantkonzepte bringen einen kulinarischen Mehrwert, manche sind zu starr oder verkopft, und man wünscht sich insgeheim mehr herzliche Gastlichkeit. Doch das offene Feuer taugt hervorragend, wie es das „Fogo“ von Chefkoch André de Silva zeigt. In Berlin eröffnet das erste Feuer-Restaurant im kommenden Jahr, „Stoke“ soll es heißen. Chefkoch Jeff Claudio aus Vancouver ist gerade mitten in den Vorbereitungen – das offene Feuer im Innenraum mit den deutschen Brandschutzbestimmungen unter einen Hut zu bringen erfordert viel Arbeit.

Claudio ist wie viele Kö­ch:in­nen in jungen Jahren losgezogen, um in Restaurants auf der ganzen Welt zu arbeiten. Nach Stationen in New York und Hongkong lernte er das Kochen über offenem Feuer im „Burnt Ends“ in Singapur. Im Kochen mit offenem Feuer sieht er auch eine Verantwortung: der Koch-Nomade will die Technik an die nächste Generation Kö­ch:in­nen weitergeben.

Apfelholz passt zu Bacon, Erlenholz zu Forellen

„Das Spannende am Kochen mit offenem Feuer ist, dass es je­de:r anders macht“, sagt der 39-Jährige. Es gebe große regionale Unterschiede, zum Beispiel bei der Frage, ob man mit dem Feuer von frischem Holz arbeite oder Kohle benutze. Denn durch den Rauch überträgt sich der Geschmack des Holzes in die Speisen. So passt etwa süßliches Apfelholz am besten zu klassisch texanischem Bacon oder Erlenholz für geräucherte Forellen. Das Problem bei frischem Holz ist aber, dass es sehr unregelmäßig abbrennt und schwer zu kontrollieren ist. Es eignet sich eher für indirekte Zubereitungsarten wie Räuchern. Grillkohle hingegen brennt zwar sehr konsistent, gibt aber wenig Geschmack ab.

Jeff Claudios Lösung ist eine Mischung aus verschiedenen Ansätzen: Aus frischem, bereits vorgetrocknetem Holz produziert er im Ofen eine eigene Glut, die er dann mit einer Schaufel in den Grill schüttet. „Da hat man das Beste von beidem: konsequente Hitze und sauberen Rauch, der entsteht, wenn das Fett vom Produkt die Glut küsst.“ Seine bevorzugte Holzart ist Eiche, deren Raucharoma zwar kräftig, aber nicht zu aufdringlich ist, sodass es sich flexibel für verschiedene Speisen einsetzen lässt.

Ein Lagerfeuer im Restaurant ist nicht nur kulinarisch ein Gewinn – es wirkt auch verbindend. Die Geschichte der Menschheit selbst ist eng mit dem Feuer verbunden: das Beherrschen des Feuers ist ein Meilenstein in unserer Entwicklung. 2014 fand eine Studie heraus, dass sich durch das abendliche Lagerfeuer der Tag des Urmenschen verlängerte und ihm so Zeit blieb, um soziale Fähigkeiten wie Empathie zu entwickeln. Auch kulturelle Techniken bildeten sich in diesen gewonnen Stunden am Feuer – wie das Kochen. Kein Wunder, dass uns das bis heute so gut schmeckt.

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