■ Kommentar: „Ganz toll“ verdrängt
Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen ist nicht gerade als Temperamentsbündel bekannt; im Gegenteil. Um so alarmierender ist deswegen die euphorische Sprache, wenn der Regiermeister die „ganz tolle Arbeit“ der Großen Koalition in der vergangenen Legislaturperiode preist. Man fragt sich, in welchem Paralleluniversum sich Diepgen in der Zeit von 1991 bis Ende 1995 aufgehalten hat. Das kann doch nicht die Stadt gewesen sein, die mit einer abenteuerlichen Gurkentruppe die Herren der Ringe betören wollte, die Olympiade nach Berlin zu vergeben? Meint man sich nicht auch zu erinnern, daß es der Regierende Bürgermeister nicht vermochte, den zu schnellen Abbau der Berlin-Förderung zu verhindern; oder daß die Stadt in dieser Zeit bei der wirtschaftlichen Entwicklung die rote Laterne als Schlußlicht aller Bundesländer übernahm, während der Senat Metropolenträume spann? Und war es nicht allein die bündnisgrüne Opposition, die das Haushaltsdesaster schon exakt berechnete, während der verantwortliche Finanzsenator Pieroth bis zum Wahltag blühende Landschaften vorgaukelte? Von der vergeigten Länderfusion mal ganz zu schweigen. Offenbar alles ein anderer Ort, eine andere Zeit. Deshalb kann der Regierende Bürgermeister zwar dem Froschkönig Georg Gafron und dessen Radiosender 100,6 solcherart Erfolgsgeschichten erzählen, etwas anderes als ein Märchen aber wird trotzdem nicht draus. Dieses Ensemble mit Diepgen als Mr. Bean der politischen Tragödie an der Spitze noch über 1999 hinaus ertragen zu müssen erfüllt den Tatbestand der Nötigung zur Republikflucht. Noch mehr solche Erfolge, und man möchte nicht wissen, wie Katastrophenmeldungen aussehen. Gerd Nowakowski
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