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„Ganz Amerika krankt daran“

Anthony Hopkins ist ein feiner Herr, aber politische Korrektheit mag er nicht. Seinen Hannibal hingegen hat er lieb, denn das Monster ist sexy, beißt nur die Unhöflichen und befreit uns Triebunterdrücker nebenbei alle. Sir Anthony plaudert

Gleich merkt er’s. Gleich hält Anthony Hopkins bestimmt seine Nase in den Luftzug der Klimaanlage vom „Vier Jahreszeiten“ und sagt: „Sie benutzen die Hautcreme von Nivea. Und manchmal tragen Sie das White Musk für 11,95 vom Body Shop.“ Dann wird er lächeln: „Aber nicht heute.“

Bilder verblassen, Monster nicht. Auch wenn Sir Anthony Hopkins heute leicht verschnupft ist und für Dr. Lectors Impertinenzgebärden viel zu fein. Der Ritter der britischen Krone „liebt“ seinen Hannibal. Immer noch, auch nach zehn Jahren, auch noch nach diesem uninspirierten Sequel von Ridley Scott, über das er natürlich kein böses Wort verliert und das er der Einfachheit halber gleich mitliebt. „Ich liebe den Kannibalen, nicht nur weil er mir zu Anzügen wie diesem verhilft.“ Er klopft sich mit gespieltem Hahnenstolz aufs schwarze Revers. „Dieses Monster sind wir, es ist unser Schatten. Seine Dämonie ist für alle Menschen nicht nur Furcht erregend, sondern auch erotisch. Er befreit uns. Durch ihn brauchen wir den schwarzen Teil unseres Unterbewussten nicht aus dem Käfig zu lassen.“ Für einen kurzen Moment leuchtet sein Blick, wie man es im Kino nur bei den großen Diven oder den großen Wahnsinnigen sieht.

Kunstpause. Ein Räuspern. Ein winziger Fingerzeig. Da bringt Assistentin Jenny auch schon sein Wasser. Dann fügt Hopkins noch leise hinzu, dass sein „bescheidenes Wissen“ über Jung und Freud ihm bei der Besichtigung menschlicher Abgründe sehr geholfen habe. Der Schauspieler spricht immer etwas leiser, wenn er seine eigene Kultiviertheit andeutet. Nicht nur, weil dieser Mann die Diskretion selbst ist. Er weiß, wie effektvoll man Ausrufungszeichen setzen kann, auch ohne Paukenschlag und Rampenspiel. Damit hat er es sogar geschafft, dass wir uns der tragischen Jämmerlichkeit seines „Nixon“ (Regie: Oliver Stone) erbarmen konnten. Und dass wir dem Verbeugungsapparat Stevens aus „Was vom Tage übrig blieb“ von James Ivory am liebsten eine Rheumadecke um die steifen Schultern gelegt hätten.

Hannibal ist nicht das Schlimmste, was einem im Dunkeln begegnen kann. Schließlich beißt er am liebsten „frei laufende Unhöfliche“. Was Hopkins verstehen kann. Er kann schlechte Manieren und „cholerische Darbietung von Regisseuren und Produzenten“ nicht ausstehen. „Das Schlimmste ist diese politische Korrekheit. Sie ist verlogen, beklemmend und schlicht idiotisch. Sie verordnet Schweigen und das Verdrängen von Sexualität und Aggression. Ganz Amerika krankt daran.“ Das erhellt zwar nicht die Frage, warum Hannibal ausgerechnet einem Schwulen das Fell über die Ohren ziehen muss, wenn er doch zum sexuellen Freiheitkämpfer geschlagen wird. Aber immerhin klingt Hopkins’ „You must not speak the unspeakable“ schauriger als jeder Vorspann eines Ed-Wood-Films.

Mit routinierter Freundlichkeit dirigiert er eine Traube fragender Journalisten, wie ein amerikanischer Weihnachtsmann, der dafür sorgt, dass alle Kinder ihm ihre Wünsche ins Ohr flüstern können. Seinen gleich bleibenden Blick, der Komplimente ebenso wie Zumutungen absorbiert, verteilt er pingelig genau in der Runde. Mit dieser Miene plaudert er nach links über „Hannibal als pervertierten Rennaissance-Menschen“. Oder beruhigt einen anderen rechts, dass er niemals das Hirn eines Arbeitskollegen essen würde, auch wenn so ein Sprachzentrum bestimmt „nicht schrecklicher schmecken kann als Austern oder Schnecken“. Und auch das bekommen sonst nur Diven hin: Bei dem 63-jährigen Veteranen von 48 Kinofilmen und etlichen TV-Produktionen wird selbst höfliche Ausdruckslosigkeit zum Ereignis.

BIRGIT GLOMBITZA

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