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"Gammelfleisch"-Kommentar"Gammelfleisch" existiert nicht

Nick Reimer
Kommentar von Nick Reimer

Das harmlose Objekt wird per "Gammelfleisch" zum Subjekt gemacht. Wer interessiert sich da noch für die Täter?

Bild: taz

Nick Reimer ist Redakteur im Umwelt- und Wirtschaftsressort der taz

Das ist wohl die größte Unart des deutschen Journalismus: seine Sprache. Präzise Sprache ist bekanntlich genauso enthüllend wie die viel gerühmte investigative Recherche. Aber daran fehlt es oft. Zum Beispiel beim "Gammelfleisch". Niemand käme auf die Idee, eine Reportage über eine "Seniorenresidenz" zu schreiben. Seine Handlung spielt natürlich im Altersheim, in denen Menschen ihrem Tod entgegenwarten. "Entsorgungsparks" sind natürlich stinkende Müllkippen und "Negativwachstum" der sprachliche Versuch, vom blanken Einbruch abzulenken. Beim "Gammelfleisch" aber funktioniert die Strategie.

Von der Wortgattung her ist das "Gammelfleisch" Subjekt. Also Täter: Ein neues Gespenst geht um in Deutschland. Besonders spitze Federn haben "Ekelfleisch" zur Steigerung des "Gammelfleisches" erkoren. Gammelt Letzteres "nur" vor sich hin, so ekelt seine gesteigerte Form uns aktiv an.

Das ist sprachlicher Humbug: Gottlob gab Gott dem Menschen das Adjektiv zur Hand, um die Subjekte zu beschreiben. Fleisch zum Beispiel kann gedünstet, zartrosa, importiert, wolllüstig, manchmal leider auch paniert sein. Sie wollen mehr wissen? Ersteres versteht ein geschätzter taz-Kollege trefflich zu bereiten, zweiteres lässt sich beim Schlachtfest meines Nachbarn feststellen. Der ist nämlich Bauer. Importiertes Fleisch soll nicht sehr klimafreundlich sein (wegen des beim Transport entstehenden Kohlendioxids) und paniertes Fleisch ist schlechterdings ein Frevel. Ach so, wolllüstiges Fleisch - das interessiert Sie? Vergammeltes Fleisch aber scheinbar nicht: Das Objekt wird per "Gammelfleisch" zum Subjekt gemacht. Wer interessiert sich da noch für die Täter?

Es gibt kein "Gammelfleisch". Es gibt nur im Hirn angegammelte Menschen, die Fleisch vergammeln lassen - und das dann trotz alledem noch verkaufen. Fleisch per se ist unschuldig - auch wenn kranke Geister aus ihm "Gammelfleisch" machen.

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Nick Reimer
Seit 1998 bei der taz (mit Unterbrechungen), zunächst als Korrespondent in Dresden, dann als Wirtschaftsredakteur mit Schwerpunkt Energie, Klima und Landwirtschaft, heute Autor im Zukunftsressort.

3 Kommentare

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  • WK
    Wolfgang Kramer

    Das Schlimme an der Sache ist, dass einige wenige, wie in fast allen anderen Sachen auch, alles in den Dreck ziehen und in diesem Land "ein Jahr auf Bewährung" bekommen...lächerlich

  • T
    tibu

    und dann dies:

    "Bahn versilbert ihre Filetstücke"

    Wie hierzulande, und erst recht im Wirtschafts- und Umweltressort der taz, mit dem Fleisch und der Sprache umgegangen wird...

  • DF
    Dieter Frick

    Dieses Fleisch kann erst dadurch entstehen, weil Menschen nach wie vor Tiere umbringen um sich zu ernähren.

    Und dies in so großer Anzahl, dass sie ihre Opfer noch nicht mal verwerten. Meinetwegen nennen wir es essen.

    Sie schätzen diese Opfer nicht.

    Es ist ja nur Fleisch.