Gärtnern ist Gentrifizierung: Tante Erna, der Garten und ich

Rasenkante mit dem Lineal gezogen auf der einen Seite. Auf der anderen eine Ratte, die hinter der Regentonne wohnt. Übers Gärtnern – und das Leben.

Eine Amsel füttert ihr Junges mit einem Wurm – sie sitzen beide auf einer grünen Wiese

Könnte man im Garten beobachten: eine Amsel füttert ihr Junges (rechts) Foto: picture alliance/Felix Kästle/dpa

Solange ich denken kann, wollte Tante Erna einen Garten. „Ach“, seufzte sie, „wenn ich einen Garten hätte, dann wär mein Leben schön. So ’n bisschen umgraben, Blümchen gießen, Unkraut zupfen. Und abends läg ich im Liegestuhl und betrachtete, was ich geschaffen hätte.“

Seit zwei Jahren haben wir einen Garten, und Tante Erna hört nicht auf zu klagen.

„Scheiß Natur! Jetzt haben die Schnecken wieder eine Blume zerfressen, das war meine Lieblingsblume, die Regentonne ist kaputt und der Nachbar hat auch schon wieder geschimpft, weil unsere Hecke zu hoch ist!“

Die Parzelle unseres Nachbarn zur Linken sieht aus, als wäre sie aus einem Garten-Internetspiel in die Wirklichkeit gebeamt worden. Rasenkante mit dem Lineal gezogen, kein Unkraut, keine Schnecken, kein welkes Blatt, nirgends. Er hat sogar ein Vogelhäuschen, wo die zierlichsten Vögelein ein und aus fliegen. Bei uns wohnt eine Ratte hinter der Regentonne (vermutlich ist sie deshalb kaputt). Und Tante Erna jammert: „Der Garten frisst mich auf.“

Alles ist Pflicht, nichts mehr Freude

Es ist nicht so einfach mit meiner Tante momentan. Sie ist seit einem Jahr in Rente und kommt nicht zur Ruhe. Die zehn Jahre alten, angebrochenen Scheuermittelflaschen müssen weggeräumt werden, die Wohnung aufgeräumt, der Kaffee gekocht. Alles ist Pflicht, nichts mehr Freude.

Letzten Montag wurde die Tante meiner Tante zu Grabe getragen. Sie war fast hundert Jahre alt. In der Trauerrede fanden der Bruder der Verstorbenen, ihr Gatte und Martin Luther Erwähnung. Sonst niemand. Alle drei Männer hatte sie lange überlebt. Alles kann, nichts muss, lautet das althergebrachte Motto frivoler Lustbarkeiten. Der Leitspruch meiner Familie lautet eher: Alles ein Muss, bis keiner mehr kann. Puristischer Protestantismus gepaart mit jüdischer Leidenskultur. Wundervolle Mischung.

Ich hab wegen Corona wieder mit Therapie begonnen. Der Lockdown hatte mich mit mir selbst, meinen Neurosen und meiner Familie eingesperrt, da bekam ich Panikattacken und deswegen Schuldgefühle usw.

Ich dachte ja, die Psychotherapeuten wären total überrannt, weil es allen so geht wie mir, aber meine Therapeutin meinte: Noch sind die Leute wütend, die Depression kommt später.

Der Garten hört nie auf. Er wächst, bis er stirbt und verrottet. Der Garten sagt nie Danke. Und manchmal denkst du, er will dich verarschen.

Mensch gegen Natur

Meine Tante sieht den Garten als Kampf. Mensch gegen Natur. Ich denke, gärtnern ist Gentrifizierung. Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen.

Die Tante pflanzt, der Garten wächst, ich schneide ab. So ist die Arbeitsteilung.

Letzte Woche hab ich meine erste Hecke geschnitten. Mit der Heckenschere auf der Haushaltsleiter. Ich musste die ganze Zeit an Cluedo denken. Das Brettspiel. Und ob der Internet-Rasenkanten-Nachbar mir wohl zu Hilfe eilen würde, wenn ich das Gleichgewicht verlöre und von der Leiter hinab bäuchlings in das Mordwerkzeug stürzte. Bauchwunde. Nicht gut.

Als ich Pause machte, um Kaffee zu trinken, entdeckte ich das Amselnest. Drei Amselküken reckten die Hälse, Vater Vogel brachte Würmer, und Mutter Vogel breitete schützend die Fittiche.

Familie. Kommste nicht gegen an. Ich hab an dem Tag nichts mehr gearbeitet.

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Schriftstellerin, zuletzt "Hätt' ich ein Kind" bei Ullstein, Kolumnen montags bei Radio Eins.

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