GRÖHLENDE ILLUSIONEN

■ „New Model Army“ am Donnerstag im Metropol

Das Metropol ist voll, die Revolution ist vielleicht noch nicht käuflich, aber zumindest verkaufbar. Der Sound ist matschig, und die Lightshow blitz bunt und teuer. „I believe in justice / I believe in vengeance / I believe in getting the bastards“, singt Julian Sullivan, und ich glaube ihm, daß er daran glaubt, wenn er es gröhlt durch seine demonstrative Zahnlücke. Das Problem ist nur, die Bastarde zu erkennen: Wenn man Walter Momper in der Glotze sieht, Interviews liest, könnte man fast glauben, was er sagt. Wenn ich meinem Ofensetzer glaube, der einen Kachelofen in Mompers Kreuzberger Wohnung abbaute, der in Walters westdeutsches Feriendomizil geschafft ewrden sollte, und der von Mompers Frau erzählte, die die volksnahen Sprüche ihres Gatten ad absurdum führte, indem sie die Arbeiter anpflaumte, sie sollten den Teppich nicht dreckig machen und ihnen nicht mal einen Kaffee anbot, denke ich, daß er einer der Bastarde ist, die man kriegen wird, wenn es soweit ist. (Wieweit? Bietet man seinen Revolutionären, damit sie einem den Teppich nicht schmutzig machen, denn nun einen Kaffee an, oder verteilt man Pappnasen? d. säzzer)

Wahrscheinlich wird es allzu bald nicht soweit kommen, zum Glück für Walter und seine Kumpels, aber um die Hoffnung nicht zu verlieren, braucht man offensichtlich solche Bands wie New Model Army und Lieder, bei denen die geballten Fäuste hochfliegen und der ganze Saal den Text mitgröhlt: „We're the 51st state of America.“ Wie bei BAP, entfährt es meinem Nebenmann, aber manchmal brauchen ein paar tausend Leute das wohl, denn wie fragte schon Barney Geröllheimer: „Bist du allein, Fred?“ Fred Feuerstein: „Ich bin komplett allein!“ Solche Konzerte geben einem zumindest das Gefühl, nicht allein zu sein, auch wenn die kämpferische Attitüde schon reichlich ausgelutscht ist und mir Fred Feuersteins Worte in den Ohren klingeln: „Du hast ja nicht alle Steine in der Schleuder.“

Die Frage, die bleibt, ist, ob wir noch mehr Steine brauchen oder noch mehr Mitgröhl-Musik, noch mehr „Go and tell the people in the white coats: enough is enough“. Seit The Clash haben wir genügend Hymnen für ein halbes Dutzend Revolutionen, ohne daß irgendwas passiert ist. (Da steckt ja auch System hinter! d. säzzer) Brauchen wir wirklich Konzerte, bei denen uns bestätigt wird, daß wir nicht allein sind, noch mehr Platten, die der Soundtrack sein könnten für eine Revolution, die nicht stattfindet, statt dessen unser Geld in die Säckel von Plattenfirmen fließen läßt, die in der Lage sind, noch jede musikalisch oder politisch subversive Strömung zu vereinnahmen?

Sich in die Mechanismen des Geschäfts zu begeben scheint genauso sinnvoll oder sinnlos, wie im Underground-Indie -Getto zu vergammeln. Die politische Dimension von Rockmusik scheint schon lange nichts mehr zu bewegen, aber es hilft auch nichts, nicht mehr an ihre revolutionäre Wirkung zu glauben, weil sie damit einen Gutteil ihrer Faszination verlieren würde. Lieber rhythmische Illusionen als unmusikalische Realitäten, denn auch Revoluzzer sollten träumen dürfen.

Thomas Winkler