GROSSBRITANNIEN VERHARMLOST DEN EINSATZ VON ATOMWAFFEN: Spiel mit der Bombe
Als vor zwei Wochen die Details der neuen US-Atomwaffendoktrin bekannt wurden, gelang es den politisch Verantwortlichen hier zu Lande, die neuen Vorgaben als theoretische Überlegungen einiger Bürokraten im Pentagon abzutun. Jetzt hat ein Minister gesprochen – und lässt keinen Spielraum für Interpretationen. Wenn Großbritannien es für nötig hält, so der britische Verteidigungsminister Geoff Hoon, wird es in einem Krieg mit dem Irak Atomwaffen auch dann einsetzen, wenn es nicht mit solchen Waffen angegriffen wird. Wird dieser Aussage nicht widersprochen, muss man annehmen, dass diese Politik von den Regierungen der anderen Nato-Staaten akzeptiert wird. Auch von der rot-grünen Bundesregierung. Dabei hatte diese 1998 in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben, sie wolle sich „für den Verzicht auf den Ersteinsatz von Atomwaffen einsetzen“.
Der Einsatz von Atomwaffen gegen Bagdad ist zwar eher unwahrscheinlich. Der Schaden entsteht aber nicht erst, wenn die Bombe tatsächlich fällt. Schon mit der Drohung wird die Singularität der Atomwaffen in Frage gestellt. Die Annahme, dass die Atombombe eben nicht nur eine Fortentwicklung in der Waffentechnologie ist, wird seit ihrem ersten Einsatz vor mehr als 55 Jahren zwar kontrovers diskutiert. Von den Atomwaffenstaaten wurde diese Annahme bisher nicht offiziell in Frage gestellt. Denn eine effektive Verteidigung gegen die Atombombe konnte nie entwickelt werden.
Wenn aber die Atombombe jetzt nicht mehr als einzigartig gelten soll, dann werden auch die besonderen politischen Regeln für diese Waffen nicht mehr lange gelten. Die Gefahr wächst, dass es mehr Atomwaffenbesitzer geben und auch andere Staaten den Einsatz der Atombombe erwägen. Damit wird der Vertrag über die Nichtweitergabe von Atomwaffen geschwächt. Denn ein Abkommen, das einigen Staaten den Besitz der Bombe erlaubt und anderen verbietet, lässt sich ohne die Annahme von der Einzigartigkeit auf Dauer nicht legitimieren. Weiter führt das dazu, dass es bei der nächsten Konfrontation zwischen den neuen Atommächten Pakistan und Indien schwierig bis unmöglich werden kann, beide Kiegsparteien vom Atomwaffeneinsatz abzuhalten.
Bleibt die Drohung des britischen Ministers stehen, droht ein politisches Desaster. Deshalb muss die Bundesregierung widersprechen. Tut sie es nicht, bricht sie nicht nur ein Versprechen aus dem rot-grünen Koalitionsvertrag. Sie wird dann mitverantwortlich, wenn irgendein Militärapparat dieser Erde sich der amerikanischen und britischen Haltung anschließt – und mit den vermeintlich nicht mehr einzigartigen Atomwaffen wieder Kriege führt. ERIC CHAUVISTRÉ
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