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GERECHTIGKEIT Der Finanzexperte Markus Meinzer fordert in seinem neuen Buch schärfere Regeln gegen die Steuerhinterziehung„Druck kann etwas bewirken“

Interview Hannes Koch

taz.am wochenende: Herr Meinzer, in Ihrem Buch „Steueroase Deutschland“ stellen Sie die Bundesrepublik auf eine Stufe mit Schattenfinanzplätzen wie Panama, den Cayman oder den britischen Kanalinseln. Ist das nicht übertrieben?

Markus Meinzer: Für Bürger anderer Staaten ist es tatsächlich schwer, hierzulande anonyme Briefkastenfirmen zum Zweck der Steuerhinterziehung zu gründen. Trotzdem ist unser Land ein gigantischer Mag­net für ausländisches Kapital. Nach meinen Berechnungen auf der Basis von Bundesbankdaten sind zwischen zweieinhalb und 3 Billionen Euro hier steuerfrei investiert. Ein Grund dafür: Ausländer brauchen für Zinsen, die sie auf deutschen Konten vereinnahmen, keine Abgaben zu zahlen. Und die Heimatfinanzämter der Investoren erhalten keine Informationen über diese steuerfreien Gewinne.

Welche Nachteile hat eine solche Politik?

Deutschland geht damit viel Geld durch die Lappen. Bei normaler Versteuerung würden zwar die Heimatländer der Anleger einen Teil der Einnahmen erhalten, aber auch der deutsche Staat bekäme etwas ab. Ich schätze die Mindereinnahmen auf etwa 21 Milliarden Euro pro Jahr. Zum Vergleich: Das entspricht etwa 7 Prozent des Bundeshaushalts. Außerdem stellen sich wegen solcher Praktiken ungebetene Gäste ein: Auch die Mafia, Menschenhändler und Diktatoren wollen hier ihr Kapital diskret unterbringen. Das bedroht die Integrität des Finanzplatzes. Zusätzlich schädigt diese Steuerpolitik die Herkunftsländer. Die oftmals ärmeren Staaten büßen Mittel ein, die sie sonst in ihre Entwicklung investieren könnten.

Warum handelt die Bundesregierung so, wenn doch auch der deutsche Staat Geld verliert?

Viele Politiker hängen einer Art Steuerkriegsideologie an. Faire Abgaben würden Kapitalanleger in die Flucht schlagen, argumentieren sie. Das ist einer der größten Mythen unserer Zeit.

Ist da nicht was dran? Der US-Konzern Apple hat seine Europazentrale in Irland. Dort ist die Gewinnsteuer erheblich niedriger als in Deutschland.

Das ist nur ein nachrangiger Grund für Apples Ansiedlung. Irland ist Mitglied der Europäischen Union. Man spricht Englisch. Auch diese Aspekte machen das Land als Europastandort für US-Unternehmen attraktiv. Natürlich versuchen manche Unternehmen, die Staaten gegeneinander auszuspielen. Aber die Politiker sollten sich nicht einschüchtern lassen. Denn die meisten Firmen und Anleger investieren Geld in erster Linie dann, wenn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen stimmen, wenn verlässliche Institutionen und eine gute In­frastruktur solide Geschäfte versprechen. Normale Abgaben nehmen sie in Kauf.

Vor einem Jahr haben 50 Staaten in Berlin ein Abkommen zum automatischen Austausch von Kontoinformationen geschlossen. Das klingt, als ob der Steueroasen-Spuk bald vorbei wäre.

Das ist ein richtiger Schritt auf einem langen Weg. Es existieren aber noch viele Schlupflöcher. Beispielsweise brauchen wir mehr Transparenz bei den Daten. Bisher ist nicht geplant, dass die Öffentlichkeit erfährt, wie viel Kapital aus welchen Staaten beispielsweise in Deutschland angelegt ist. Das lädt zu Mauschelei ein und erleichtert Entwicklungsländern, aber auch anderen Steueroasen, nicht am Datenabgleich teilzunehmen.

Markus Meinzer

Der Autor: Er ist Polit­ökonom in Marburg und arbeitet als Finanz- und Steueranalyst für das internatio­nale Tax Justice Network (TJN) – eine NGO, die sich für eine progressive Verteilung der Steuerlast und für Transparenz auf den internationalen Finanzmärkten einsetzt. Er ist dort verantwortlich für den „Schattenfinanzindex“.

Das Buch: „Steueroase Deutschland. Warum bei uns viele Reiche keine Steuern zahlen“. C. H. Beck Verlag, München 2015, 288 Seiten, 14,95 Euro

Die europäischen Staaten haben in ihrer Zinsrichtlinie den automatischen Austausch von Kontoinformationen beschlossen. Entzieht das der Geheimniskrämerei nicht den Boden?

Gerade diese Regel weist große Lücken auf. Nur Bruchteile der vereinnahmten Zinsgewinne werden heute erfasst und gemeldet. 2012 waren es hierzulande 291 Millionen Euro. Dies lässt auf Kapitalanlagen in Höhe von etwa 24 Milliarden Euro schließen. Ein erstaunlich niedriger Wert, wenn man an die geschätzte ausländische Gesamt­investition von 2,5 bis 3 Billionen Euro in Deutschland denkt.

Sie arbeiten für das Netzwerk für Steuergerechtigkeit. Was haben Sie bisher erreicht?

Unser größter Erfolg ist, dass ein Thema wie der automatische Austausch von Kontoinformationen inzwischen auf der Agenda der G-8- und G-20-Gruppen der wichtigsten Wirtschaftsnationen steht. Vor zehn Jahren galt dies noch als völlig utopisch. Das zeigt: Demokratischer Druck kann etwas bewirken. Aber wir brauchen mehr davon, damit die Staaten ihre Zusagen auch umsetzen.

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