G-7-Proteste in Bayern: Weit weg von Elmau – aber laut
Je näher man Schloss Elmau kommt, desto weniger Demonstranten sind es. In München aber gehen Zehntausende auf die Straße.
„Stop G 7“-Plakate, Kinderwagen, „No TTIP“-Schilder: Begleitet von solcherlei Demofolklore ziehen am Donnerstagnachmittag mehrere Zehntausend Menschen friedlich durch München, um gegen den bevorstehenden G-7-Gipfel zu demonstrieren.
Auf dem Stachus in der Münchner Innenstadt drängen sich die Menschenmassen. Mit dabei sind Studenten, Althippies, Eltern und Kinder. Über den Köpfen wehen Fahnen von Gewerkschaften, der Grünen und der Linkspartei. Die Hilfsorganisation Oxfam verteilt Wimpel und die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend wirbt für ihre Flugblätter – ein breites Bündnis, das johlt und applaudiert, als ein Bauer mit Filzhut und Gummistiefeln das Mikrofon ergreift und zu einer Art politischen Büttenrede ansetzt. „Sieben Milliarden samma mia, was wollts sieben Hanseln ihr“, reimt er.
Applaus brandet auf, Vuvuzelas sind zu hören, als Anton Hofreiter, Fraktionschef der Grünen im Bundestag, und Klaus Ernst, ehemals Chef der Linkspartei, die Bühne betreten. Für die beiden gebürtigen Münchner ist es ein Heimspiel.
Wie auch die gefühlte Mehrheit der Schilder und Spruchbänder arbeiten sich Ernst und Hofreiter vor allem an TTIP und dem Klimaschutz ab, weniger an den G 7 als Institution. „TTIP ist ein Angriff auf den sozialen Fortschritt“, ruft Ernst. „Wir können uns nicht auf den grünen Widerstand im Bundesrat verlassen, sondern müssen TTIP vorher stoppen“, appelliert Hofreiter.
34.000 Demonstranten sollen es sein, twittert die Münchner Polizei, die Veranstalter gehen von rund 40.000 aus.
Einer von ihnen ist Walter Mauk. Er lehnt am Reifen seines Traktors, den er etwas abseits vor dem Justizpalast geparkt hat. Vor seiner Fahrerkabine hängt ein Schild: „Und die Armen werden ärmer.“ Eineinhalb Stunden Fahrt über Nebenstraßen hat der Landwirt auf sich genommen, um hier zu demonstrieren. „TTIP und Ceta bedrohen uns Bauern in unserer Existenz“, sagt er. „Dann bekommen wir Gentechnik durch die Hintertür – und Monsanto reibt sich die Hände.“ Unter seinen Kollegen auf dem Land sei er mit solchen Ansichten aber eher ein Exot, bedauert er.
Manschaftswagen in Bürgerkriegsstärke
Ein Mann aus Eritrea steht mit einigen anderen Refugees nah vor der Bühne. Gegen die G 7 habe er eigentlich nichts, sagt er. Er wünsche sich von der EU eine humanere Flüchtlingspolitik. Die USA sollten dabei helfen, aus seinem Heimatland eine entwickelte Demokratie zu machen.
Inzwischen hat die Politprominenz die Bühne geräumt und Redner aus dem Spektrum der antiimperialistischen Linken wettern gegen die Nato, ihre Kriegspolitik und die horrenden Rüstungsausgaben. Anders als in den Reden zuvor fallen die Worte „Weltregierung“ und „Kriegstreiber“. Das Publikum klatscht eher höflich als euphorisch.
Währenddessen lassen ein paar Punks mit hängendem Iro die Beine in einen Brunnen in der Fußgängerzone baumeln. Vereinzelte schwarze Fahnen oder die der Antifa wirken in der Masse eher verloren. Autonome, Gewaltbereite oder der Schwarze Block treten nicht in Erscheinung. Frankfurter Zustände, vor denen die Münchner Polizei seit Monaten warnt? Nicht mal im Ansatz.
Und so hält sich auch die Polizei weitgehend zurück. Nur in den Nebenstraßen rund um die Versammlung stehen Mannschaftswagen in Bürgerkriegsstärke.
Entweder unter 25 oder graues Haar
Schloss Elmau, der Tagungsort, ist zwar einige Stunden Fahrt entfernt – doch die Aktivisten in der Landeshauptstadt sind heute laut, zahlreich und bunt. Der Protest ebbt allerdings umso stärker ab, je näher man dem Austragungsort des Gipfels kommt.
Von Garmisch-Partenkirchen aus sind es nur noch knapp 17 Kilometer bis Schloss Elmau. Am Morgen, vier Stunden vor der Demo in München, knackt auf dem dortigen Platz vor dem Bahnhof ein Mikrofon, als Ingrid Scherf das Wort ergreift. Ein kleiner Verstärker steht neben ihr auf dem Boden. „Die Versammlung ist hiermit eröffnet“, ruft sie. Das ist der Startschuss für die erste Dauerkundgebung von einem ganzen Kundgebungsmarathon: Bis Sonntag soll hier täglich von 10 Uhr bis 20 Uhr dauerprotestiert werden. Parallel zu dieser Aktion in Garmisch plant das Bündnis Stop G 7 außerdem Kundgebungen ebenso oft und ebenso lang in Mittenwald und Klais.
Viele Aktivisten in Garmisch-Partenkirchen sind da gerade erst aus ihren Zelten im nahe gelegenen Camp gekrabbelt. Jetzt sitzen sie vor dem Bahnhofsplatz auf Bierbänken im Schatten und drehen Zigaretten, Reggae-Musik weht herüber. Die Alterspyramide unter den Demonstranten ist eine sehr schlanke Sanduhr: Die meisten sind unter 25, die nächstgrößere Gruppe hat graue Haare.
Präsenz zeigen - auch allein
Die Dauerkundgebung – das sind zwei Pavillons. An die Seitenwände fummeln zwei Helfer ein Banner „Rassismus tötet. Stop G 7“. Unter einem Pavillon liegen Infobroschüren, auf einem Tisch summt ein Beamer. Am Nachmittag soll es hier einen Live-Stream nach München geben.
Die Passanten, meist Touristen in Wanderstiefeln, kümmern sich kaum um das Grüppchen. Und auch die Polizei beobachtet das Geschehen gelangweilt vom anderen Ende des Platzes.
„Ist mir egal, wenn wir nicht so viele sind“, sagt Ingrid Scherf. „Ich stand auch schon alleine da und habe vor Knästen demonstriert.“ Sie will so nah wie möglich dran sein an den Mächtigen und zeigen, dass die sich nicht ungestört verkriechen können. „Wir müssen einfach vor Ort sein und Präsenz zeigen.“
Wenig später in Klais: Nur wenige Kilometer sind es von hier den Berg hinauf nach Elmau. Auf dem Platz vor dem Bahnhof sollte parallel zu der in Garmisch eine Kundgebung starten. Doch jetzt stehen da nur 15 Polizeiwagen, zwei Polizisten auf Pferden an einer frisch gemähten Wiese, umschlossen von mannshohen Absperrgittern.
Wo die Demonstranten sind? Ein Polizist zuckt mit den Schultern. Wirklich überrascht, dass keiner gekommen ist, wirkt er nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen