Fußballidol Pavel Kuka: Der Igel im Sturm
Der Stürmer des 1. FC Kaiserslautern tat nichts und war damit vollkommen erfolgreich. Einen wie Pavel Kuka muss man einfach anhimmeln.
I ch wuchs auf in einem kleinen Dorf am Fuße der Alpen. Es war ein beschauliches, gemütliches Nest, man kannte sich, nichts blieb der Nachbarschaft verborgen. Zwei Wirtshäuser gab es dort, einen Bäcker, einen Metzger, zwei Zigarettenautomaten, ungefähr 3.000 Kühe – macht drei Kühe pro Einwohner. Und zwei Vereine: Bayern oder VfB. Irgendwann später kam noch der SC Freiburg dazu, aber das war nach meiner Zeit. Alle waren Bayern oder VfBler, außer Knete, der wurde aus unerfindlichen Gründen 60er, obwohl sein Vater es mit Werder Bremen hielt. Später wurde er Alkoholiker, das kann aber auch eine Korrelation sein.
Ich aber, ich war nichts. Fußball interessierte mich nur gespielt. Ich war in einem Alter, da ich noch lieber selbst draußen kickte, als breitbeinig auf einem Sofa zu fläzen und altklug Passalternativen und verfehlte Laufwege zu analysieren. Aber immer wieder, immer wieder kam diese Frage: Was bist du für einer? Puh, keine Ahnung. Ich wollte nicht Bayer werden oder VfBler. Meine Mutter war in der Pfalz aufgewachsen, und mein Onkel lebte noch da, und in seinem orangenen Käfer hing ein Wimpel, auf dem stand: FCK. Okay, dachte ich. Werd ich halt Lauterer.
Ich wurde Fan zu einer glücklichen Zeit, Lautern befand sich im Höhenrausch: Pokalsieger 1990, Meisterschaft 1991. Nur eine Sache machte mir Sorgen: Mir wollte partout keine Spielernummer einfallen, die ich hätte auf meinen Rücken flocken lassen können. Stefan Kuntz? Den mochte jeder, sogar die Bayern. Martin Wagner, der Mann mit Eisenfuß und Bumskopf? Andi Brehme, bei dem erkennbar noch nie ein Groschen gefallen war? Vielleicht Ciriaco Sforza, die Edelfeder? Hmm.
„Ich bin schon da!“
Und dann kam Pavel Kuka, 1993 war das. Pavel Kuka sah nicht nur aus wie ein Igel, er spielte auch wie einer. Während die anderen durchs Feld jagten wie die Hasen, rollte er sich vorne gemütlich ein und wartete, hob die Hand und schrie: „Ich bin schon da!“ Und wenn dann schlechterdings jeder, Mit- und Gegenspieler, inmitten des Ackers zu Boden stürzte, Martin Wagner nur noch vom eigenen 16er-Eck flankte, dann spazierte Kuka vergnügt übers Feld und erstolperte sich ein Tor. Oder zwei.
Der Mann entsprach meinen Idealen: Er tat nichts und war damit vollkommen erfolgreich. Und er konnte sehr zurückhaltend verzweifelt dreinschauen, wenn ihm mal wieder der Ball vom Fuß sprang. Immer griff er sich dann in die Haare, was seine Frisur erklärt, und machte stumm den Mund auf. Schmachtend saß ich vor dem Fernseher und betete diesen Gott an, der selbst im Versagen derart gleichgültig blieb, dass er sich jedes Pathos verwehrte; dass er noch nicht einmal aufschrie, sondern nur stumm seine Goldkronen zeigte.
Es waren dann die dutzendfach ausgelassenen Chancen, nicht nur gegen Leverkusen, durch die Pavel Kuka drei Jahre später den Abstieg in die Zweite Liga besiegelte. Ich blieb ihm ergeben. Danach fügte sich Pavel Kuka ein ins zweite Glied: Denn für einen Meister der Lakonie, wie er es war, hatte Otto Rehhagel keinen Platz in seiner Elf, die er wie ein angespitzter Pfahl durch die Spielordnungen der Gegner jagte. Er spielte wenig, schoss noch weniger Tore, sein Anteil am Titelgewinn nach dem Wiederaufstieg: überschaubar.
Er ging nach Nürnberg, wir verloren uns aus den Augen. Ich bin weggezogen aus dem Dorf. Der FCK und ich, wir haben uns ein wenig entfremdet, weil mir die Bindung gefehlt hat, ich bin ja Lauterer aus Trotz geworden. Ich spiele nicht mehr, das Knie, sondern sitze auf Sofas und analysiere altklug Zweikampfverhalten und Spielsystem. Ich verschenke mein Herz nicht mehr an fremde Männer, die ich ausschließlich aus dem Fernsehen kenne. Und doch denke ich noch oft an Pavel Kuka; immer dann, wenn mir etwas partout nicht gelingen will. Dann mache ich kurz den Mund auf und greife mir in die Frisur. Und dann geht’s wieder.
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