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Fußballfans und GewaltNicht nur wilde Säue

Polizeibehörden klagen über die zunehmende Gewaltbereitschaft der Anhänger. Die positiven Entwicklungen gehen in der aufgeregt geführten Debatte meist unter.

Feuer unterm Dach: Dresdner Fans beleuchten das Westfalenstadion. Bild: dapd

BERLIN taz | Gewalt wird sehr unterschiedlich wahrgenommen. Oder auch gar nicht. In Dortmund sorgten am Dienstagabend beim Pokalspiel gegen Dynamo Dresden (2:0) etliche Gästefans für wüste Randale.

Polizeieinsatzleiter Peter Andres sprach von einer noch nie erlebten Dimension der Gewalt. Auf der Homepage des Zweitligisten wurde zwar ein Spielbericht platziert, die Ausschreitungen und deren Folgen (mindestens 15 Verletzte, davon zwei Polizisten) wurden aber mit keiner Silbe erwähnt.

Aus Polizeisicht fügt sich der Vorfall in das Bild, das die Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS), die von der Polizei Nordrhein-Westfalen unterhalten wird, in ihrem am selben Tag veröffentlichten Jahresbericht gezeichnet hatte: Bei den Spielen der 1. und 2. Liga geht es immer brutaler zu. Für die Saison 2010/11 vermeldete man einen neuen Höchststand der Zahl von Verletzten. Die Polizei registrierte bei den insgesamt 612 Spielen 846 Verletzte, darunter 243 Polizeibeamte, 259 Randalierer und 344 Unbeteiligte. In der Saison wurden 784 Verletzte gezählt.

Kaum waren die Zahlen im Umlauf, unterfütterte die Nachrichtenagentur dpa die Meldung mit einer Aufzählung, in der die jüngsten Gewaltvorfälle im deutschen Fußball fein säuberlich aufgelistet waren. Von der Seniorenliga in Berlin bis zu einem A-Jugendspiel im hessischen Dotzheim (Faustschläge gegen den Schiedsrichter). "In den Medien wird dann immer alles zusammengeworfen. Das verwässert die Diskussion", beklagt Michael Gabriel, der Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS).

Grundsätzlich sind die Reaktionsmuster immer die gleichen. Die Polizei und ein Großteil der Medien thematisieren die von der ZIS zahlenmäßig belegte Zunahme von Gewalt; die Funktionäre der Deutschen Fußball-Liga und die Fanprojektmitarbeiter warnen vor einer Überdramatisierung und wollen die Statistiken in die richtigen Relationen gerückt sehen. Gemessen an den Besuchermengen, sei die Zahl der Verletzten mit der Zahl der beim Münchner Oktoberfest Verletzten vergleichbar, sagt etwa Norbert Harz vom Bündnis Aktiver Fußball-Fans (BAFF).

Nur dass man dann danach von einem "relativ ruhigen Oktoberfest" lesen würde. Außerdem weist er darauf hin, dass die Polizei in den vergangenen Jahren vermehrt Tränengas eingesetzt habe. Man müsse sich schon fragen, weshalb "die Unbeteiligten" die größte Gruppe in der Verletztenstatistik bilden. Selbst gebastelte Böller tragen allerdings ihren Teil dazu bei.

"Keiner fragt, ob das Zufall ist"

Gabriel bekümmert vor allem, dass in den öffentlichen Diskussionen über die nach Polizeikriterien zusammengestellten ZIS-Datensätze einige wichtige Aspekte unter den Tisch fallen. Dies führe zu einer Stigmatisierung und Isolierung vieler jugendlicher Fußballfans. Im Sommer, erinnert er, seien mit Blick auf die vielen "Problemvereine" in der Zweiten Liga Schreckensszenarien an die Wand gemalt worden. "Nun ist es dort ausgesprochen ruhig zugegangen. Jetzt fragt keiner, ob das Zufall ist oder vielleicht mit einer Entwicklung in der Fanszene zusammenhängt."

Gabriel ist von Letzterem überzeugt. Die Initiative "Pyrotechnik legalisieren" habe 55 teils verfeindete Ultragruppen zusammengebracht, um in Zusammenarbeit mit Juristen und Feuerwehrfachleuten dem DFB und der DFL konstruktive Vorschläge zu unterbreiten. "Die übergreifende Kommunikation hat auch dazu geführt, dass es jetzt ruhiger ist", sagt Gabriel.

Er räumt allerdings ein, dass diese Entwicklung fragil ist. Gerade die in Fankreisen stark symbolisch aufgeladene Diskussion über das Erlauben von Pyrotechnik habe in der Vergangenheit zur Radikalisierung und größeren Gewaltbereitschaft unter den Ultras geführt.

Da der DFB und die DFL den über diese Frage aufgenommenen Dialog vor Kurzem abgebrochen haben, obwohl sich ein Großteil der Ultraszene an den ersten fünf Spieltagen an einen selbst auferlegten Verzicht auf Feuerwerkskörper hielt, könnten sich nun die Hardliner, wie die Rostocker Ultras, in ihrer Kompromisslosigkeit bestätigt fühlen. Sie nahmen an den Gesprächen erst gar nicht teil und zündelten eifrig weiter, so wie gestern die Dresdner in Dortmund.

Norbert Harz warnt ebenfalls davor, in der Gewaltdebatte zu grobschlächtig zu argumentieren. "Über die Jahre ist schon eine leichte Radikalisierung festzustellen. Das ist aber überhaupt nicht mit den Zuständen in den 80er Jahren vergleichbar. Und außerdem gibt es in der Ultraszene gerade eine Gegenbewegung von Leuten, die sagen: Wir können nicht jeden Tag wilde Sau spielen."

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10 Kommentare

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  • IP
    Inte Polis

    "Ultima ratio: Keine Polizei mehr in den Stadien - lasst die Klopper sich kloppen; wer als Nicht-Klopper hingeht (und den Schwachsinn finanziert), ist selbst schuld."

     

    Ein Traum

  • B
    Bitbändiger

    Danke, meine Herren, für die Resonanz.

     

    @kein Ultra, @bEn:

     

    Sehen Sie mir bitte nach, dass ich für Pyrotechnik in Stadien, auch für gar "erlaubte", keinerlei Verständnis habe. Zum einen gehe ich immer noch davon aus, dass den allermeisten Besuchern am störungsfreien Anschauen eines Fußballspiels gelegen ist - wer ein Feuerwerk sehen will, soll woanders hingehen. Zum anderen sind pyrotechnische Erzeugnisse in der Hand von hinreichend zahlreich präsenten Vollidioten und Randalemachern zusätzliche Waffen. Nicht zu Unrecht sind m.W. auch Getränkeflaschen verboten, oder?

     

    @Dirk, @bEn:

     

    Mich interessiert ehrlich gesagt nicht, welche "Ultras" wann, wo und womit "angefangen" haben; solche Betrachtungen gehören in den Kindergarten. Es mag auch sein, dass die Gewaltexzesse im Umfeld der Fußballspiele gegenüber vor 30 Jahren zurückgegangen sind - hat aber sicher damit zu tun, dass inzwischen an jedem Spieltag viele Polizei-Hundertschaften (und zwar auch auf meine Kosten!) unterwegs sind, um das Schlimmste zu verhüten. Und die Gewaltexzesse in den unteren Spielklassen scheinen mir relativ neu zu sein.

     

    Vorschlag: Keine Polizeieinsätze mehr IN den Stadien (außerhalb müssen die unbeteiligten Bürger leider weiterhin geschützt werden). Nach drei Spieltagen sind dann vermutlich die Klopper unter sich, und bezüglich der Folgen hält sich mein Mitleid in Grenzen. Alternativ: Fußball nur noch im Fernsehen (dann aber bitte kostenpflichtig und nicht GEZ-finanziert!).

     

    Ach ja, @Dirk: Wenn der Eindruck entstanden ist, ich meinte mit "Versagern aller Art" (Ihr ergänztes "proletarisch" war nicht meine Formulierung!) diejenigen, die sich Stadionbesuche eh nicht mehr leisten können, ist das falsch. Mein durch Weltbeobachtung entstandener "Kulturpessimismus" fußt (auch unabhängig vom Thema "Fußball") auf der Erkenntnis, dass Versager aller Art, vor allem im Sozialverhalten, sich zunehmend in allen "Schichten", in allen Einkommensklassen und zuhauf auch mit Doktorgrad finden lassen.

  • B
    bEn

    @ Bitbändiger

    Bitte erst mal mit dem Anliegen der Pyro-Initiative beschäftigen - dann meckern.

    Und zu Ultras allgemein: Das ganze begann damit, dass sich Hardcore-Fans von den Hools abgrenzen wollten. Nur leider fühlen sich inzwischen einzelne (Gruppen und/oder Individuen) so diskriminiert dass die Gewaltbereitschaft tatsächlich auch bei manchen Ultras zunimmt. Ob das berechtigt ist oder nicht sei mal dahingestellt. Tatsache ist aber, dass zumindest bei manchen Hertha-Ultras manche Typen aus alten Zeiten als "Heroes" gelten.

    Tatsache ist aber auch, das es die Ultragruppierungen sind die die geilen Choreos im Stadion machen, was sicher viele vom "Unsinn machen" abhält und mit denen sich am ende auch der Verein schmückt.

  • K
    Kunigunde

    Mir erschliessst sich beim besten Willen nicht, weshalb die Randale in Dresden um sovieles mehr im Fokus der Aufmerksamkeit steht, als die Randale bei anderen Vereinen. Das Steine, Flaschen geworfen werden, Pyro zum Einsatz kommt, haben die Dortmunder erst kürzlich beim Derby gegen Schalke eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Da wird aber nicht so ein mediales Theater veranstaltet. ARD und ZDF hatten sich schon im Vorfeld eifrig bemüht, die Dresdner Fans als das wandelnde Inferno überhaupt darzustellen, was sich dann im Nachbericht über die martialisch vorrückenden Barbaren zuendeschrieb. Vielleicht hätte auch Herr Andres seinen Blick etwas schärfen sollen, um festzustellen, dass seine 'noch nie erlebte Dimension der Gewalt' lediglich eine subjektive Formulierung darstellt. Genau wie die Berichterstattung, verglichen mit der über ähnliche Aktionen irgendwelcher Idioten bei anderen Vereinen.

     

    Gewalt gibt es, in der Gesellschaft und im Stadion. Sie ist aber nicht normal oder symptomatisch für Fussball und es sind nicht undifferenziert die Fans an sich, die Ultras und schonmal garnicht 'die Dresdner' als solches, die Gewalt wollen, suchen oder auf den höchsten Punkt treiben. Und nein, ich bin kein Dresdner Fan. Mich nervt nur diese spezielle Ein- (oder besser Aus-) sortierung der Dresdner weil es - lapidar ausgedrückt - idiotisch ist und wie im Artikel angesprochen, nur überflüssige Stigmatisierungen fördern kann.

  • D
    Dirk

    @ Bitbändiger:

     

    Wenn man sich nie ernsthaft mit der Geschichte der deutschen Fankultur befasst hat, dann sollte man sich mit seinen Aussagen vielleicht etwas zurück halten. Von den "proletarischen Versargern aller Art", die Sie beobachtet haben wollen, ist da nicht mehr viel übrig. Allein schon, weil die sich das auch gar nicht mehr leisten können.

     

    Auch wenn die Gewalt eine Tendenz nach oben hat, wobei bei dem Spiel ja nun auch weniger Verletzungen passiert sind, als auf der Reeperbahn unter der Woche, ist sie noch weitaus deutlich unter dem Niveau der 80er und 90er Jahre, in denen rassistische Hooligans die deutsche Fanlandschaft dominierten. Die Wörter "immer mehr" lassen viel eher darauf schließen, dass die Kampagnen der Medien recht erfolgreich das Bild dumpfer Fußballfans erzeugt haben.

     

    Auch die Formulierung mit dem auf den Rückzug seienden Werten lässt auf eine Art Kulturpessimismus schließen, der aber an den Fakten vorbeigeht. Gerade die häufig kritisierten Ultras weisen ein erhöhtes Maß an wertgesteurten Handeln auf. Anti-Kommerzialismus, Anti-Rassismus, Solidarität, Freundschaft, soziales Engagement, Autonomie, Kampf gegen Sexismus und Homophobie und so weiter sind typische Merkmale dieser Gruppen und das ließe sich noch wesentlich weiter ausführen. Icgh empfehle einfach mal die einschlägige Literatur zu dieser Thematik. Ein interessantes Beispiel sind übrigens die Jungs und Mädels hier:

    http://www.11freunde.de/bundesligen/145193?page=1

     

    Damit will ich übrigens nicht die Gewaltthematik kleinreden. Hab mich schon oft genug über Typen aufgeregt. Manche benehmen sich wirklich wie die letzten Idioten und dann darf und sollte man dies auch tun. Und auch nicht alle Gruppen können die von mir aufgezählten Merkmale erfüllen und es gibt sicherlich auch wirklich bedenkliche Gruppierungen, wie die New Society (NS) in Chemnitz oder ähnliches. Auch dieses "Hier kommen die Ostdeutschen und wir hauen euch Wessi-Bubis jetzt eine aufs Maul-Gehabe", das die Dresdner gerne mal an den Tag legen ist einfach nur peinlich. (S.h. Aufstiegsspiele gegen Osnabrück) Aber diese elenden Verallgemeinerungen, die in den Medien und der Öffentlichkeit immer wieder vertreten werden, sind einfach nicht zielführend und der Analyse und dem Umgang mit existierenden Problemen nicht hilfreich.

  • KU
    kein Ultra

    @ Bitbändiger:

    Wenn du keine Ahnung hast, warum worüber diskutiert wurde, behalte deine Meinung bitte für dich. Es ging in der Diskussion um gesicherte Plätze im Stadion zum Abbrennen von Pyrotechnik und nicht um das Legalisieren des Abbrennens in Menschenmassen.

    Und Fußball ist traditionell auch ein Familienereignis, und du meinst nicht ernsthaft, dass Familien im Stadion nicht geschützt werden sollten.

     

    @fußball ja:

    Was soll das denn? Gehst du ins Stadion, hast du dir mal die teilweise steroidverstopften Ordner und Polizisten angeguckt? Da hat man als Fan kaum noch Rechte und bekommt gleich die Faust, den Knüppel oder das Pfefferspray, siehe Hannover letztes Wochenende oder die Bremer Fans die es vor einigen Wochen in Hoffenheim erwischt hat. Das Problem sind doch nicht ausschließlich die Fans. Das Problem ist die Angst die geschürt wird und mit der Ordner und Polizisten auf Fans losgehen, woraufhin diese sich wehren.

    Und das man alle in einen Sack stecken sollte, die ganze Zeit draufknüppeln und schon die richtigen erwischen wird, ist hoffentlich nicht ernsthaft deine Meinung.

  • B
    Bitbändiger

    Ich bin ja schon einigermaßen fassungslos, dass über das Thema "Erlauben von Pyrotechnik" (durch Laien in großen Menschenansammlungen!) offenbar überhaupt ernsthaft diskutiert wurde.

     

    Der Fußball wird leider immer mehr als willkommener Anlass und Bühne für Randalierer und Schläger aller Facetten missbraucht. Fußball als Sport trägt daran keine Schuld - Fußball als Organisation, als Geldmaschine und als Bezugspunkt für Versager aller Art allerdings schon. Da Erziehung (in Form von Vermittlung UND DURCHSETZUNG ethischer Werte) in unserer Gesellschaft auf dem Rückzug ist, werden sich wohl nur noch Symptome bekämpfen lassen. Das heißt: Vereine, die ihre "Fans" nicht im Griff haben, radikal sperren. Ultima ratio: Keine Polizei mehr in den Stadien - lasst die Klopper sich kloppen; wer als Nicht-Klopper hingeht (und den Schwachsinn finanziert), ist selbst schuld.

  • I
    ianc

    "..., die Ausschreitungen und deren Folgen (mindestens 15 Verletzte, davon zwei Polizisten) wurden aber mit keiner Silbe erwähnt."

     

    Dynamo hat sehr wohl eine Stellungnahme zu den Ereignissen in Dortmund veröffentlicht:

     

    http://www.dynamo-dresden.de/de/aktuelles/verein/details/artikel/stellungnahme-der-sg-dynamo-dresden-zu-den-vorkommnissen-beim-pokalspiel-in-dortmund.html

  • K
    Öko

    Pyro gehört verboten, schon allein aus Umweltgründen!

  • FJ
    fußball ja

    Das übliche Taz-Sozialgelabere: verniedlichen, weggucken, relativieren - das alles natürlich sensibel, differenziert und neunmalklug.

     

    Von wegen schwere Kindheit, schlimme Pubertät und sozial Schwache. Idioten sollten auch Idioten genannt und so behandelt werden.