Fußballerin Garefrekes: Die Schuhe passen
Sie ist technisch versiert und kann mit beiden Füßen schießen. Kerstin Garefrekes ist die auffälligste Spielerin im deutschen WM-Team - und Amateursportlerin.
TIANJIN Jetzt also die Norweger. Ein schwerer Gegner? Nein, sagt Kerstin Garefrekes. "China wäre genauso schwer geworden." Sie schaut mit großen Augen in die Runde, als würde sie Bestätigung suchen für ihre Worte. Dann streicht sie sich übers rechte Auge. Unter dem Lid sitzt ein Bluterguss. Blaugrün schimmert das Kampfmal. Es war eine Nordkoreanerin, die ihr die kleine Verletzung zugefügt hat. "Ich hoffe, der Bluterguss wandert nicht noch runter", sagt sie und deutet auf ihren Augenrand, dabei ist die Westfälin wohl nicht sehr eitel. Eher unbeholfen und schüchtern wirkt sie, wenn sie in einer Ecke des Sheraton-Hotels in Tianjin auf die Presse wartet und der Tross der Journalisten lieber erstmal mit Kerstin Stegemann und Ariane Hingst ein paar zwanglose Worte wechselt.
Garefrekes ist nicht immer so zurückhaltend. Sie führt ja ein Doppelleben. Auf dem Platz verwandelt sie sich regelmäßig in eine andere. Die Verwandlung klappt so gut, dass sie bei dieser Frauenfußball-WM zur auffälligsten Spielerin im deutschen Team gereift ist. Das kommt nicht von ungefähr, denn Garefrekes ist eine nahezu komplette Spielerin: Sie ist technisch versiert, kann mit beiden Füßen schießen, sie ist läuferisch stark, und sie kann sich trotz ihr spillerigen Statur - 1,80 Meter bei nur 66 Kilogramm - durchsetzen im Zweikampf. Im Viertelfinale konnten ihr selbst zwei Gegenspielerinnen wenig anhaben. Wenn sie auf der rechten Seite anzog, dann wurde es stets gefährlich für die Nordkoreanerinnen, zumal Garefrekes mit dem Ball schneller zu laufen schien als ohne.
Man muss es noch einmal betonen, weil es durchaus sein kann, dass es in Deutschland noch niemand gemerkt hat - trotz eines kürzlich erschienenen Spiegel-Artikels und eindrücklicher Leistungsnachweise: Kerstin Garefrekes, 28, vom 1. FFC Frankfurt spielt derzeit besser als Birgit Prinz, Renate Lingor und alle anderen in der Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Ist sie deswegen eine Führungsspielerin? "Mmh, schwere Frage", grübelt sie und verzieht die Mundwinkel: "Jede Spielerin muss Verantwortung übernehmen." Das ist ein typischer Garefrekes-Satz.
Sie hat ganz viele davon auf Lager: "Ich spiele da, wo die Trainerin mich hinstellt", beispielsweise. Oder: "Wir müssen 100 Prozent geben, um die Norwegerinnen zu schlagen." Sie hat schon Außenverteidigerin in der Viererkette gespielt, im zentralen Mittelfeld und natürlich auf ihrer Lieblingsposition rechts außen. Garefrekes scheint die Wunschspielerin eines jeden Trainers zu sein: flexibel, bescheiden, strebsam und teamfähig. Ob sie nun Tore schießt oder Pässe spielt, Garefrekes stellt sich selbstlos in den Dienst der Mannschaft. Darum geht es auch am Mittwoch im WM-Halbfinale (14 Uhr, ARD). Darüber hinaus sei es wichtig, "als kompakte Mannschaft aufzutreten" und "die Mitte eng zu machen, damit die Norwegerinnen die gefährlichen Pässe in die Spitze nicht spielen können".
Die DFB-Elf will die Skandinavierinnen mit ihrer Fitness beeindrucken. Im letzten Testspiel vor vier Wochen in Mainz hat das noch nicht geklappt. Die Partie ging 2:2 aus. Es war ein schmeichelhaftes Unentschieden. Danach kamen Zweifel auf, ob es eine gute WM werden würde für die Mannschaft von Trainerin Silvia Neid. "Wir mussten uns im Training erst wieder beweisen, dass wir gut Fußball spielen können", hat Renate Lingor nach den ersten Trainingseinheiten in China gesagt. "Wir wissen, was wir können", sagt Garefrekes. Sie hat von der ersten WM-Minute ihre Leistung abgerufen, was dafür spricht, dass sie eine Turnierspielerin ist. Auch bei der WM 2003 überzeugte die Verwaltungsbeamtin. Garefrekes, bis dahin eher unauffällig, erspielte sich nicht nur einen Stammplatz, sondern war mit vier Toren hinter Birgit Prinz auch die zweitbeste Torschützin des Turniers.
Werbeverträge hat ihr das nicht eingebracht. Sie betrachtet Fußball als Hobby, nicht mehr und nicht weniger. Andere Topspielerinnen haben in der letzten Zeit Privatverträge mit Schuhfirmen abgeschlossen: Lingor, Prinz und Fatmira Bajramaj. Garefekes sieht dafür keine Notwendigkeit. "Ich bekomme die Schuhe von Adidas kostenlos, die passen super, was will ich mehr." Auch nach dem Championat in China wird wohl nichts Großes passieren im Leben der Amateursportlerin Garefrekes. "Ich bin ja sehr nüchtern und bodenständig, und mein Trikot würde ich auch nie über den Kopf ziehen. Ich rechne also nicht mit Sponsoren." Ein WM-Titel würde völlig ausreichen.
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