piwik no script img

Fußballer über Leicester City„Füreinander den Arsch aufreißen“

Kürzlich Abstiegskandidat, nun Titelchancen in der Premier League: Christian Fuchs über das mittelgroße Fußballwunder Leicester City.

„Defensiv hart im Verbund stehen“ – ein Grund für den Erfolg laut Christian Fuchs (rechts) Foto: Reuters
Interview von Markus Völker

Spieltag 28 in der englischen Premier League, der besten Fußballiga der Welt: Ein Klub aus dem vergleichsweise kleinen Leicester (330.000 Einwohner), 150 Kilometer nördlich von London gelegen, steht immer noch an der Spitze der Tabelle – vor den großen Klubs aus Manchester und London. Das ist, als tauchte Darmstadt 98 plötzlich ganz oben in der Bundesligatabelle auf. Der Österreicher Christian Fuchs ist Linksverteidiger bei Leicester City und hat nach dem Gipfelsturm der „Foxes“ plötzlich mehr Medienanfragen, als ihm lieb ist. Ein „notwendiges Übel“ nennt er das, lässt sich dann aber gut gelaunt auf die Fragen der taz ein.

taz: Herr Fuchs, Ihr Nachname hat in England bisweilen für Irritationen gesorgt, weil man ihn, bei falscher Aussprache („Fucks“) missverstehen konnte. Hat sich das gebessert?

Christian Fuchs: Die Leute haben es mittlerweile kapiert, ja.

Sie haben unter dem Hashtag #NoFuchsGiven aber erst eine Kampagne starten müssen, mit lustigen Videos und schrägen Aktionen.

Ich habe die Leute erziehen müssen.

Bild: dpa
Im Interview: Christian Fuchs

Der 29-Jährige hat Fußballspielen in Niederösterreich, im kleinen Ort Pitten, gelernt. Fuchs mag Hardrock und Reptilien. Der Linksfuß hat es nach seinen Engagements in der deutschen Bundesliga (Bochum, Mainz und Schalke) natürlich zum österreichischen Nationalspieler gebracht. Mit seinen Kollegen nimmt er an der EM in Frankreich teil. Besonders gefürchtet sind neben seinen direkten Freistößen Fuchsens weite Einwürfe, die hart wie Flanken in den Strafraum kommen. Fuchs, dessen Idole Eric Cantona und Rivaldo waren, initiierte die Aktion "Stars4Stars" zur Unterstützung von behinderten Sportlern.

Sie schießen Ihrem Mannschaftskameraden Robert Huth Bälle mit Schmackes an den Hintern oder verpassen Angreifer Shinji Okazaki Ohr-Schnipser nach einer Sching-schang-schong-Zockerei. Es scheint ja sehr locker zuzugehen beim Tabellenführer der Premier League?

Zu 100 Prozent. Das macht uns ja so stark. Wir sehen nicht alles so verdammt eng. Wir wollen diese Zeit genießen und das Beste daraus machen.

Leicester steht ganz oben. Kann man da überhaupt locker bleiben?

Der Druck kommt von Außen. Der lässt uns relativ kalt. Klar sind wir enttäuscht, wenn es mal nicht läuft, aber wir bleiben ruhig. Wir haben natürlich einen klaren Anspruch an uns selbst.

Nämlich?

Das machen, was wir können. Alles geben von Spiel zu Spiel. Was dann dabei herausspringt, kann man nicht immer beeinflussen. Die letzten beiden Spiele sind das beste Beispiel: Gegen Norwich lief es nicht so gut und wir gewinnen. West Brom spielen wir an die Wand und schaffen nur ein Unentschieden. So ist Fußball.

Es ist wie in einer Familie mit einem gewissen Wohlfühlfaktor. An uns sieht man, was man als Team alles erreichen kann

Wie fühlt es sich an, Teil eines Fußball-Wunders zu sein?

Es ist okay (lacht). Nein, natürlich ist es super.

Alle Welt spricht von diesem Wunder. Nervt Sie das? Ist es womöglich gar kein Wunder?

Wenn man es objektiv betrachtet, ist es natürlich schon ein Wunder, weil unsere Geschichte in Leicester komplett konträr ist zu dem, was in der Fußballwelt vorherrscht. Normalerweise kauft man Qualität und Erfolg mit viel Geld ein. Das lief in Leicester, wo man zuletzt lange in der dritten und zweiten Liga gekickt hat, anders. Aber wir sind mit voller Leidenschaft am Schaffen, haben Spaß. Es ist wie in einer Familie mit einem gewissen Wohlfühlfaktor. An uns sieht man, was man als Team alles erreichen kann.

Was macht dieses Fußball-Wunder mit der Stadt Leicester?

Im Lokal oder Café wird man öfters mal angesprochen. Man spürt den Stolz der Fans.

taz.am Wochenende

Fünf Jahre Grün-Rot in Baden-Württemberg. Läuft der Laden weiter? Wie sich das „Ländle“ nach dem Machtwechsel entwickelt hat – und von wem die Menschen repräsentiert werden möchten. Zehn Sonderseiten zur Landtagswahl in der taz.am wochenende vom 5./6. März. Außerdem: Unser Leben wird immer mehr von Algorithmen beeinflusst. Müssen wir anfangen, ihnen Ethik beizubringen? Und: Vor fünf Jahren explodierte das Kernkraftwerk Fukushima. Die Anwohner wurden evakuiert. Wie ist es, zurückzukehren? Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Herr Fuchs, wissen Sie, was 1929 mit Leicester City passierte?

Meinen Sie die Vizemeisterschaft?

Richtig, Sie kennen sich ja gut aus!

Ich bin gebrieft.

Wäre es eine Enttäuschung für Sie, wenn Sie nur die Vizemeisterschaft feiern könnten?

Nein, überhaupt nicht. Die Erwartungshaltung ist ja eine andere in Leicester. Jeder freut sich, einmal so eine Saison mit dem Klub erleben zu dürfen.

Viele zweifeln daran, dass Leicester es schaffen kann, weil zum Beispiel Ihr Trainer, Claudio Ranieri, noch nie eine Meisterschaft gewinnen konnte, weswegen er den Spitznamen The Nearly Man trägt.

Ich würde es ihm wünschen, dass er den Titel gewinnt. Es wäre so eine schöne Geschichte, die dann ihren Höhepunkt erreicht. Wir beweisen ja, dass man auch abseits des großen Geldes Erfolg haben kann, weil wir uns füreinander den Arsch aufreißen. Das sucht im Fußballgeschäft heutzutage seinesgleichen.

Salopp gefragt: Bei Ihnen spielen keine Arschlöcher?

Das trifft den Nagel auf den Kopf.

Wie hat Claudio Ranieri, der mit viel Skepsis empfangen wurde, das Team hinter sich geschart?

Durch seine Art. Er ist kein Trainer, der aufdringlich ist und unbedingt seinen Willen durchsetzen muss, sondern er sorgt für ein gutes Miteinander. Er ist sehr auf das Wohlbefinden seiner Spieler bedacht, ein lockerer Typ. Er hat auch nicht so viel umgestellt, weil er gesehen hat, dass wir viel Qualität haben, vor allem nach vorne. Aber als Italiener ist er natürlich sehr auf die Defensive bedacht. Da hat er ein paar Hebel umgelegt in unserem 4-4-2-System.

Es heißt, er habe schon im Trainingslager vor der Saison die Herzen der Spieler gewonnen, weil er seinen Plan, extrem hart zu trainieren, fallen ließ und auch davon absah, große Taktikseminare abzuhalten.

Das kam sehr gut an im Team, ja.

Wie weit reichen die Freiheiten für einen Spieler unter Ranieri?

Wir reden hier nicht von Catenaccio, aber er sieht es schon gern, wenn die Null steht, wir also kein Gegentor kriegen. Die Mannschaft muss defensiv im Verbund hart arbeiten. Das ist ihm wichtig. Kein Spieler ist sich zu schade, viel zu laufen. Und nach vorn haben wir viel individuelle Klasse. Spieler wie Jamie Vardy und Riyad Mahrez darf man nicht zu sehr einschränken mit vielen Vorgaben. Die wissen, was sie zu tun haben.

Zu den Freiheiten, die Sie genießen, gehört offenbar auch, dass es keinen strengen Diätplan gibt, wie neulich in der Süddeutschen Zeitung zu lesen war. Für den Fall, dass Sie kein Gegentor bekommen, hat Ranieri regelmäßig Pizza versprochen.

Ganz so lax ist es natürlich nicht. Es ist viel Eigeninitiative gefragt. Und das mit der Pizza ist jetzt schon ein Running Gag, aber ehrlich gesagt hat es erst einmal ein Pizza-Essen gegeben.

Wo sich die Spieler angeblich mit Teig beworfen haben.

Ja, so ist es. Aber das ist Leicester, diese gewisse Lockerheit, der Spaß, den man miteinander hat.

Leicester City hat eine miese Passquote und wenig Ballbesitz. Wie passt das zu Platz eins in der Tabelle?

Man kann Spiele mit Ballbesitz bestimmen. Man kann Spiele aber auch bestimmen, indem man auf frühe Balleroberungen aus ist, früh stört. Man kann es auch über eine starke Defensive lösen und mit schnellem Umkehrspiel. Jeder, der gegen Leicester spielt, weiß, dass er durch einen harten Defensivblock durchmuss. Wenn der Gegner einen Fehler macht, dann ist unser Umschaltspiel so schnell, dass sich der Gegner schwertut, vielleicht auch ein bisschen gehemmt ist.

Der Klub gehört dem thailändischen Investor Vichai Raksriaksorn, der den hübschen Beinamen Srivaddhanaprabha (“Licht des fortschreitenden Ruhms“) trägt. Es heißt, er habe ein gewisses Thai-Flair in den Klub gebracht. Stimmt das?

Es hängen Banner im Stadion, die von buddhistischen Mönchen gesegnet worden sind. Ich habe eh ein Faible für Buddha-Statuen. Die gefallen mir richtig gut. In meinem Haus kann man nirgendwo hinschauen, ohne einen Buddha zu sehen. Das beruhigt mich.

Was ist in Leicester eigentlich anders als auf Schalke, wo Sie zuvor Fußball gespielt haben?

Darüber möchte ich nicht mehr reden, weil es meine Vergangenheit ist. Ich habe mit Schalke komplett abgeschlossen.

Wenn so ein Überraschungsteam wie Leicester City auftaucht, dann gibt es große Begehrlichkeiten. Der Marktwert wichtiger Spieler wie von Stürmer Jamie Vardy ist von 750.000 Euro auf 12 Millionen angestiegen, der von Mittelfeldspieler Riyad Mahrez von 1,25 auf 20 Millionen Euro. Wie kann das Team zusammengehalten werden?

Das ist eine echte Herausforderung für die Klubverantwortlichen. Über kurz oder lang wird es aber nicht möglich sein. Das muss man ehrlicherweise sagen.

Allerdings könnte Leicester bald noch bessere Gehälter zahlen. Allein durch die Teilnahme an der Champions League kämen etwa 50 Millionen Euro in die Kasse.

Nicht nur das. Auch das TV-Geld, das wir in der nächsten Saison bekommen, würde durch den Spitzenplatz stark steigen.

Ihr Vertrag läuft bis Sommer 2018. Werden Sie noch mal nachverhandeln, jetzt, wo es so gut läuft?

Das ist eine Sache, über die nicht gesprochen wird.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!