Fußball und Nationalsozialismus: Beim Club im Keller
Mit Gespür für die Biografien verbannter jüdischer Vereinsmitglieder arbeitet Bernd Siegler die Geschichte des 1. FC Nürnberg im NS-Regime auf.
Es sind 15 verstaubte Kartons. Sie sind der Ursprung des dicken Buches, das der langjährige taz-Redakteur Bernd Siegler soeben unter dem Titel „Heulen mit den Wölfen“ veröffentlicht hat. Jahrzehntelang hatten sie in einem abgelegenen Kellerraum des Vereinsgeländes gelegen. Dann fand sie der Hausmeister, der prompt Siegler anrief – ein Glücksfall, der bei vielen Profivereinen nie eintrat, wo zum Teil komplette Vereinsarchive bei Umzügen weggeworfen wurden, sodass vielerorts noch heute die Vereinsgeschichte in der NS-Zeit weitgehend unerforscht ist.
Das war bis vor Kurzem auch in Nürnberg so. Doch in den Kartons am Valznerweiher fand Siegler die Mitgliederkartei der Jahre von 1928 bis 1955, darunter auch diejenigen der 142 jüdischen Vereinsangehörigen, die der FCN 1933 ausschloss. Mit seinem Buch setzt Siegler das Vorhaben um, „den bislang namenlosen und unbekannten jüdischen Mitgliedern des Clubs eine Geschichte und ein Gesicht zu geben“. Die Einzelporträts machen dabei den Hauptteil aus, doch sie sind dankenswerterweise in ihren historischen Kontext eingebettet, dem etwa ein Viertel des Buches gewidmet ist. Auch für Leser ohne profundere Vorkenntnisse ist das Buch daher lohnend.
Der FCN jedenfalls machte sich bereits drei Monate nach der sogenannten Machtergreifung daran, die jüdischen Mitglieder hinauszuwerfen. Am 27. April 1933 wurde deren Ausschluss beschlossen, drei Tage später war er vollzogen – offenbar mit tatkräftiger Unterstützung aus dem Rathaus, das die nötigen Daten geliefert haben muss. Schließlich war die Religion der Mitglieder auf den Karteikarten nicht verzeichnet.
Am 27. April 1933 wurde der Rauswurf beschlossen, drei Tage später war er vollzogen.
In einigen Fällen beschränken sich die Geschichten der 142 Jüdinnen und Juden auf einen grobkörnigen Lebenslauf, in weitaus mehr Fällen bekommt man beim Lesen ein Gefühl für die Person und damit für die Tragödien, die der NS-Rassenwahn schuf. Anrührend ist die Geschichte von Werner Gruber, Sohn eines evangelischen Vaters und einer jüdischen Mutter, der, wie er selbst sagt, „als Junge keine Ahnung hatte, wer ein Jude war und wer nicht“, als 16-Jähriger von Hamburg aus nach New York geschickt wurde und zeitlebens nicht verstand, was nicht zu verstehen ist: „Es war so schockierend für mich, ich war so jung, so unschuldig.“ Das war auch Walter Seefried Rothschild, der als Frontsoldat 1944 auf Heimaturlaub verhaftet und nach Buchenwald deportiert wurde. Er kehrte nach Franken zurück, enthielt für jeden Tag im KZ fünf Euro Haftentschädigung und verfolgte nach 1945 die Spiele seines Lieblingsvereins. „Nach den Heimspielen kam er vollkommen heiser nach Hause“, erinnert sich seine Tochter.
Als eine von 32 Frauen wird Gerda Schloss vorgestellt, die an jenem 30. April als Schülerin aus der Schwimmabteilung geworfen wurde, später nach Palästina emigrierte und sich dort am Aufbau eines sozialistischen jüdischen Staates beteiligen wollte. Schloss, die nun Chaya Arbel hieß, starb 2006 als eine der berühmtesten Komponistinnen Israels.
Bis sich der Fußball endlich mit seiner Vergangenheit zu beschäftigen begann, dauerte es gut zwanzig Jahre länger als in anderen gesellschaftlichen Bereichen. Insofern ist es ebenso selbstverständlich wie erfreulich, wie eindeutig und stringent sich FCN-Geschäftsführer Niels Rossow heute zur Vergangenheit des Vereins äußert: Der Club habe „Schreckliches getan und Schuld auf sich geladen“, sagt er. Das Buch treffe den Verein „im Innersten“.
Alle damals ausgeschlossenen jüdischen Vereinsmitglieder sind mittlerweile gestorben. Der FCN, der bei Sieglers Buch als Herausgeber fungiert, hat sie nun posthum wieder aufgenommen.