Fußball-WM 2015 in Kanada: Stark, schön und ein wenig Slapstick
Das deutsche Team zeigt im Achtelfinale eine runde Leistung gegen Schweden. Anja Mittag und Célia Sasic dominieren das Spiel.
Die Ausgangssituation: Im Lansdowne Stadium in Ottawa sind die Deutschen schon fast zu Hause. Seit drei Wochen sind sie in Kanadas Hauptstadt, nur unterbrochen durch ein paar Tage in Winnipeg, wo das letzte Gruppenspiel gegen Thailand (4:0) am Montag stattfand. Mit sieben Punkten stehen sie als Gruppenerster im Achtelfinale. Die Schwedinnen konnten als glückliche Drittplatzierte der Todesgruppe (USA, Nigeria, Australien) erst am Donnerstag aus dem weit entfernten Edmonton hierher reisen. Sie haben also deutlich weniger Regenerationszeit als die Deutschen. Statistisch haben die Schwedinnen aber sowieso keine Chance, ob WM, EM, Olympia – die Spiele gingen immer für Deutschland aus.
Das Spiel: 25 Grad misst das Thermometer. Auf dem Kunstrasen ist es nochmal ungefähr 15 Grad heißer. Im Stadion sitzen 22.486 Zuschauer. Das erste ausverkaufte Spiel in Ottawa.
Nach 15 Sekunden hätte es schon 1:0 stehen können. Alexandra Popp steht über links kommend frei vorm Tor. Verreißt. Der Ball geht drüber. Zwei Minuten später versucht es Simone Laudehr von rechts. Die Torhüterin ist dazwischen. So geht es die ersten 20 Minuten weiter. Geholze im Mittelfeld und immer wieder schön rausgespielte Torchancen für die Deutschen. Aber wie gehabt in den bisherigen Spielen: drüber, daneben, dran vorbei. Die Nervosität wird immer größer. Trainerin Silvia Neid schlägt die Hände vors Gesicht. Schreit aufs Spielfeld. Es nützt.
In der 24. Minute kommt es zum ersten präzisen Schuss aufs Tor: Tor Anja Mittag zirkelt den Ball an den (rechten) Innenpfosten. Sie wird nach dem Spiel sagen: „Das habe ich mir vorher genauso überlegt“. Eine Viertelstunde nach ihrem Tor lässt sie sich im Strafraum fallen und zeigt an, dass das auf keinen Fall als Schwalbe gepfiffen werden darf. Die Schiedsrichterin pfeift aber. Entscheidet auf Foul. Sasic verwandelt den Elfmeter zum 2:0 (36. Minute).
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Gerade wegen des aktuellen Fifa-Skandals wollen wir genau auf diese WM schauen. Vor Ort macht das taz-Redakteurin Doris Akrap, in Berlin kümmern sich Johannes Kopp (Sportredakteur), Martin Krauss (Pauschalist), Ronny Müller (Volontär), Richard Noebel (Layout), Sebastian Raviol (Praktikant), Andreas Rüttenauer (Chefredakteur) und Markus Völker (Sportredakteur) um die Fußball-WM.
Das deutsche Spiel ist kompakt, gut sortiert, stark, alle investieren alles. Die Schwedinnen kommen nicht hinterher. Versuchen es nur mit hohen Bällen. Die aber gehen, von der Mittellinie und vor Nadine Angerers Tor, immer nur hoch in die Luft oder weit hinter die Seitenlinien.
Die zweite Halbzeit beginnt wie die erste. Tabea Kemme, Lena Goessling, Alexandra Popp lassen die Bälle über das Netz und an der äußeren Torlinie entlang rollen. Panik löst das nicht mehr aus. Alle haben sich daran gewöhnt, dass das halt so ist. Die Deutschen lassen die Schwedinnen mehr kommen, haben das Tempo verlangsamt und schießen trotzdem das 3:0 (Sasic per Kopf in der 79. Minute). Der Konter der Schwedinnen geht dann aber mal gut für sie aus. Linda Sembrant, die zuvor schon zwei Torchancen hatte, schießt in der 82. Minute ein hübsches 3:1.
Obwohl die Schwedinnen jetzt Offensiv-Verstärkung durch die eingewechselte Kosovare Asllani kriegen, kommen sie an Nadine Angerer nicht vorbei. Stattdessen kommt die für die starke Melanie Leupholz eingewechselte Dzsenifer Maroszan endlich zu ihrem ersten WM-Tor. Und es ist ein sehr schönes: Nach einer Ecke schlenzt sie in der 88. Minute im Fallen den Ball in die obere Ecke. 4:1.
Der entscheidende Moment: Der mit viel Effet ins rechte untere Eck geschossene Elfmeter von Celia Sasic zum 2:0. Dieser Torestand gibt dem Team Vertrauen, dass Bälle durchaus auch mal ihr Torziel erreichen. Danach werden die Spielerinnen entspannter. Außer vielleicht Alexandra Popp, die im ganzen Spiel so viel Chancen verpasst, dass sie irgendwann auf den Boden stampft und sich selbst beschimpft.
Die Spielerinnen des Spiels: Anja Mittag und Célia Sasic. Das Zusammenspiel der beiden Arbeiterinnen funktioniert bestens. Ihr Laufeinsatz dürfte langsam die Länge von Marathon-Strecken erreichen. Und sie sind es auch, die – neben Maroszan – die präzisesten Torschüsse absetzen.
Die Pfeife des Spiels: Die nordkoreanische Schiedsrichterin. Mal lässt sie Sasic noch 20 Meter rennen, bevor sie dann endlich Abseits pfeift und dann gibt sie statt Gelb für ne Schwalbe von Mittag einen Elfmeter. Das Publikum, das ansonsten mucksmäuschenstill ist, dankt es ihr mit Buhrufen.
Die besondere Szene: Der Bandenköpper von Simone Laudehr in der 30. Minute. Sie rennt und rennt und rennt dem Ball so lange hinterher, bis es nicht mehr geht, weil da eine Bande steht. Im letzten Moment purzelt sie drüber, nur noch ihre Beine sind zu sehen. Ein charliechaplinesker Einsatz. Sekundenlang ist sie dann verschwunden, bis erst ihre Hände und dann ihr Kopf über die Bande gucken. Sie lacht und hüpft über die Absperrung wieder aufs Feld.
Schlussfolgerung: Deutschland reist nun nach Montréal und trifft dort am Freitag im Viertelfinale auf Frankreich oder Südkorea. Die Deutschen haben gezeigt, dass sie die Nerven doch behalten können, auch wenn sie etliche Chancen vergeben. Es war der erste Auftritt gegen einen ernst zu nehmenden Gegner und den hätten sie nicht eindrucksvoller nutzen können, um zu zeigen, dass sie nicht zu Unrecht auf dem ersten Weltranglistenplatz stehen. Ein starker Auftritt mit sehr schönen Spielszenen und großem, effektiven Einsatz, offensiv wie defensiv. Silvia Neid: „Es war vielleicht das Schlüsselspiel.“
Und sonst: Das Publikum war wie immer in Kanada für den Underdog (es sei denn Team USA spielt). Weil der aber wenig zeigt, gibt es bis zehn Minuten vor Schluss nicht mal ein größeres Raunen. Die Schwedinnen sind nach dem Spiel sichtlich traurig. Pia Sundhage verkündet aber den von einigen prophezeiten Rücktritt nicht. Von Rückritt habe sie nie geredet. Das hätten die schwedischen Medien falsch kolportiert. „Das eine ist, dass man sehen muss, ob ich dem schwedischen Verband noch nützlich sein kann. Das andere ist, was ich überhaupt will. Das werden wir sehen.“
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