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Fußball-EM in Polen und der Ukraine„Warum so spät?“

In Polen hält man sich mit Kritik an der Ukraine zurück. Schließlich könnte eine Verschiebung des Turniers folgen. Jetzt will gar die EU-Kommission die EM boykottieren.

Prächtige Stadien, prächtige Stimmung: Polen zieht die EM durch. Bild: dapd

WARSCHAU taz | Beim Blick in die polnische Presse zum Thema der Boykottaufrufe westlicher Politiker gegen die Ukraine als Gastgeber der Euro 2012 reibt sich der Kenner verwundert die Augen, weil etwas fehlt. Weil sie fehlt.

Jahre, ach Jahrzehnte, hat man in unserem östlichen Nachbarland jede noch so kleine und in Deutschland unbeachtete Äußerung der Vertriebenen-Politikerin Erika Steinbach aufgeblasen und in der Luft zerrissen. Eine Hassfigur wurde geprägt.

Nun hatte sich Steinbach in der Bild am Sonntag für eine Verlegung der in der Ukraine geplanten EM-Spiele nach „Polen, Österreich oder Deutschland“ ausgesprochen, aber in den Zeitungen keine Spur davon, im Netz allenfalls Krümel. Eine stille Revolution.

Einen lauten Nachhall dürfte hingegen auch in Polen die am Donnerstag von der EU-Delegation in der ukrainischen Hauptstadt Kiew veröffentlichte Erklärung hervorrufen, in der angekündigt wird, dass die gesamte EU-Kommission aus Protest gegen die Politik von Präsident Wiktor Janukowitsch der Fußball-Europameisterschaft in der Ukraine fernbleiben wird.

Während bislang die polnischen Blätter mit den großen Buchstaben den Umstand feierten, dass westliche Politiker es „uns Polen“ zutrauen, das Turnier auch allein zu stemmen, kommentierten seriösere Blätter den Anti-Ukraine-Aktivismus vor allem deutscher Politikerinnen und Politiker aus drei Gründen als heuchlerisch.

Deutsche Firmen verdienten mit

Erstens, fragt zum Beispiel Rzeczpospolita: „Warum kommt dieses Interesse so spät“, obwohl Julia Timoschenko seit 2011 hinter Gittern sitzt? Zweitens fällt mal wieder auf, so die Gazeta Wyborcza, „dass nun jene deutschen Politiker den ukrainischen Präsidenten anprangern, die schwiegen, „als Putin den Dissidenten Chodorkowski nach Sibirien schickte“.

Ebenso sei nicht bekannt, dass sich Deutschland gegen die Olympischen Spiele in Sotschi oder die Eishockey-WM in Weißrussland ausgesprochen habe. Drittens weisen mehrere Blätter darauf hin, dass deutsche Firmen wie Siemens beim Bau von Stadien und Infrastruktur in der Ukraine prächtig mitverdient haben und nicht fragten, ob dies Oligarchengeld sei.

Polens Politiker müssen in diesen Tage den Spagat meistern, einerseits die Behandlung Julia Timoschenkos durch das Kiewer Regime zu verurteilen und gleichzeitig auf eine planmäßige Durchführung des Turniers zu pochen. Denn im Gegensatz zu wahlkämpfenden deutschen Politikern halten all jene, die tatsächlich mit der Organisation der Euro 2012 befasst sind, eine Verlegung von Spielen zu diesem späten Zeitpunkt für unmöglich.

Der Sprecher des polnischen Außenministeriums, Marcin Bosacki, bezeichnete einen totalen Boykott der Ukraine als „Irrweg“ und zitierte als Argumentationshilfe die inhaftierte Timoschenko selbst, „die immer wieder darum bittet, ihr zu helfen, ohne der Ukraine zu schaden“, so Bosacki.

In diesem Falle heißt das wohl auch, ohne Polen zu schaden, denn der Verzicht auf die Spiele in der Ukraine könnte, wie Uefa-Chef-Organisator Martin Kallen betont, die Verlegung der Euro auf einen späteren Zeitpunkt bedeuten. Dies will man in Polen unter allen Umständen vermeiden und plädiert deshalb sehr vehement für eine Durchführung der Europameisterschaft an den geplanten Spielorten.

Innenpolitischer Schachzug

Einen Polen gibt es dann aber doch noch, der sich entgegen jedweder offiziellen Linie für eine Euro 2012 ohne Ukraine einsetzt. In einer offiziellen Verlautbarung seiner Partei vom gestrigen Donnerstag positioniert sich der ehemalige Ministerpräsident und passionierte Dauerquerulant Jaroslaw Kaczynski: „Leider lässt die Haltung der ukrainischen Regierung vermuten, dass der alleinige Besuchsboykott des Landes nicht die gewünschten Resultate zeitigen wird.

Deswegen sollten die entsprechenden europäischen Institutionen der Ukraine das Recht auf die Organisation der Europameisterschaft absprechen und ein Szenario für eine Euro 2012 ohne die Ukraine entwickeln.“

Wie in Deutschland also auch in Polen: Was wie ein leidenschaftliches Plädoyer für die Menschenrechte daherkommt, ist in Wahrheit ein innenpolitischer Schachzug. Dass Kaczynski es dabei sogar in Kauf nimmt, die gleiche Meinung wie Erika Steinbach zu vertreten, ist die nächste Stufe der Revolution.

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5 Kommentare

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  • TF
    Thomas Foltz

    Wer kann 10000 Fans, die mit Tymoschenko-Perücken

    im Stadion sitzen, organisieren???

    Tom

  • M
    Mark

    Falsch, Frau Steinbach und ihr Berufs-Vertriebenen-Verein haben sich durch nationalistische Äußerungen selbst zum Hassbild in Polen gemacht. Das haben die sich ganz alleine zu zuschreiben, die sind selber schuld.

  • K
    kroete

    Mit verlogener Doppelmoral springen jetzt dieselben Politiker/innen auf den "Menschenrechtszug" auf, um sich politisch zu profilieren, was sie seinerzeit bei der Vergabe der EM mit Nachdruck hätten tuen können, indem sie diese an die nachweisliche Entwicklung von demokratischen Strukturen hätten koppeln sollen.

    Eine scheinbar korrupte FIFA mit einer geldmaximierenden Politik vergibt ja gerade deshalb so gerne Wettkämpfe an totalitäre Regime, weil dort das Geschäftemachen so unpoblematisch ist.

    Leistungssport hat sich längst vom sportlichen Geist von Fairness und ehrlichem Wettkampf verabschiedet, Spitzensportler/innen sind oft nur noch politisches wie sportliches Mittel zum Zweck eines Milliardengeschäfts, selten noch Vorbild im Dopingdschungel der geheimen Absprachen.

    Die Politik sollte lieber in den Breitensport investieren und vereinsunabhängige Strukturen fördern, um allen Bürger/innen sportliche Aktivitäten zu ermöglichen, unabhängig vom Geldbeutel.

    Ein Boykott der Olympischen Spiele von Moskau wegen des Afghanistankrieges hat nur die Sportler/innen getroffen, politisch nichts bewirkt.

    Moralisch war er offensichtlich einmal mehr verlogen, führt Deutschland heute dort selbst Krieg, was natürlich moralisch ganz anders zu bewerten ist.

    "The games must go on!", besonders die um die Moneten!

  • RR
    Roland Rollinger

    Ich finde es richtig gut, wenn unsere Politiker die Fußball-EM boykottieren. Sie sind zumeist grottenschlechte Fußballspieler und sollten deshalb zuhause bleiben.

  • RZ
    Ralf Zimmermann

    Alles heuchelei,egal ob in Östereich,Deutschland oder sonst wo..)Alles redet plötzlich über Menschenrechte und Fußball in der Ukraine.Was ist denn mit China?Wo sind den die Merkels,Westerwelles,Röttgens usw.wenn es um das Schweineregime in China geht?Was macht Obama und H.Clinton?Nix,gar nix....)Und warum ist das so...?!Weil sie am finanziellen Tropf von der KP hängen,da geht es um Billionen von Dollars,genau um die Dollars die sich in der Finanzkrise angeblich in Luft aufgelöst haben.Aber genau mit diesen Dollars kauft China im Moment den Westen auf.Da wird dann schon mal der Führer vom Folterstaat China von "Mutti"über die Hannovermesse geführt und hofiert,und die gute "Zusammenarbeit" gelobt.Und jetzt in Wahlkampfzeiten eignet sich die Ukraine hervorragend um sich mal als "Menschenrechtler"zu profilieren,da kann man nix verlieren und der Ball rollt eh.Nur Siemens wird das nicht so gefallen,den komischerweise ziehen die in solchen Staaten immer die Fäden.Egal bei welchen großen Sportereignissen,die haben immer ihre dreckigen Finger im Spiel.Aber auch das Mörderregime in Syrien wurde mit Überwachungstechnik von Siemens ausgestattet.Das alles wäre doch mal ne Diskusion wert!Jetzt ist aber erst mal EM,und dann geht man zur Tagesordnung über.Vieleicht ist bis dahin Frau Timoschenko ja bereits verhungert,und der blinde Anwalt in china gehängt...)