Fußball Die Deutschen in der Schweiz: Der kleine Nachbar

Zehn Wochen vor dem EM-Beginn überwiegt in der Schweiz die Skepsis. Coach Kuhn hofft auf den stimulierenden Effekt eines guten Spiels gegen die favorisierten Deutschen.

Der Schweizer Nationaltrainer Jakob Kuhn hofft, dass die Stimmung wieder so gut wird wie vor zwei Jahren bei der WM. Bild: dpa

BASEL taz Es ist ein riskantes Spiel, auf das sich die Schweizer da eingelassen haben. Mittlerweile blickt die Fußballnationalmannschaft des EM-Gastgebers auf eine stolze Niederlagenserie zurück, dreimal in Folge verlor die Mannschaft zuletzt, und ein weiterer Misserfolg gegen Deutschland würde kaum jemanden überraschen. Solche Phasen können das Selbstvertrauen eines Teams empfindlich stören, und bis zum Eröffnungsspiel des Kontinentalturniers gegen Tschechien verbleiben nur gut zehn Wochen. Aber die Schweizer haben dieses Risiko bewusst auf sich genommen. "Die Spieler müssen wissen, was bei einer EM abgeht", sagt Trainer Jakob Kuhn, viele seiner Spieler seien nicht mit dem internationalen Niveau vertraut, das der Trainer während der Sommerwochen erwartet.

Und weil die Mannschaft seit der Weltmeisterschaft 2006 nur selten mit den hohen Ansprüchen der internationalen Elite zurechtkam, hat Kuhn seine gewagte Ankündigung, Europameister zu werden, im Vorfeld des Deutschland-Spiels mit einem gewitzten Zusatz versehen. "Ich habe wohl oft vergessen, dazu zu sagen, dass auch 15 andere Mannschaften Europameister werden wollen", sagt der Trainer. Die von Verletzungen und Formschwankungen belastete Vorbereitung hat Spuren hinterlassen.

Die Gruppe, die bei der Weltmeisterschaft 2006 bis ins Achtelfinale drang und damit für den größten Erfolg des Schweizer Fußballs überhaupt sorgte, ist seit den begeisternden WM-Wochen nie wieder so zusammengekommen.

Permanent fehlten wichtige Leistungsträger, nun sind Patrick Müller (Olympique Lyon), Philipp Degen (Borussia Dortmund), Marco Streller (FC Basel) und Ludovic Magnin (VfB Stuttgart) verletzt. Johan Vonlanthen (Salzburg) ist ohne Spielpraxis, weil er im Klub kaum Einsätze bekommt, und Kapitän Alexander Frei ist gerade erst von einer langen Verletzung genesen. Außerdem hat Kuhn, den sie in der Schweiz alle nur "Köbi" nennen, nach dem vorigen Duell mit den Deutschen im Februar 2007 (1:3) einen sensiblen Eingriff vorgenommen, der bislang keinen Erfolg brachte. Kuhn warf Johann Vogel, den alten Kapitän, aus der Mannschaft, der Mittelfeldspieler verstand sich nicht mit Frei, der die Kapitänsbinde erbte - ein Eingriff vergleichbar mit der Degradierung Oliver Kahns zum Ersatzkeeper.

Diese Maßnahme muss Frei, der seit seiner Rückkehr noch ohne Treffer ist, nun rechtfertigen. Es ist ein kompliziertes Puzzlespiel, das Kuhn bis zum Eröffnungsspiel noch zusammenfügen muss.

Jene Hysterie, von der Deutschland nach einigen Misserfolgen vor der Heim-WM ergriffen wurde, droht aber trotzdem nicht. Vielmehr beziehen die Schweizer ihre gelassene Zuversicht aus dem Vergleich mit Deutschland und seinem Sommermärchen. "In Deutschland gab es genau dieselbe Stille vor dem Start, und auch wenn wir gegen Deutschland nicht gewinnen, gehen wir mit einem guten Gefühl ins Turnier", sagt Tranquillo Barnetta, der konstanteste Offensivspieler der vergangenen Monate. Auch Jürgen Klinsmann habe ja bekanntlich junge Spieler mit wenig Spielpraxis zu Höchstleistungen trainiert.

Dennoch ist die Skepsis in der Schweizer Bevölkerung gewaltig. Anders als Deutschland verfügt die Nation nicht über das Selbstvertrauen einer erfolgreichen Turniermannschaft - ein EM-Spiel hat die Schweiz überhaupt noch nie gewonnen - und viel zu oft trat das Team aus den 26 Kantonen und den drei Sprachregionen uneinheitlich oder gar zerstritten auf. Darunter leidet die Identifikation bis heute. Das letzte Heimspiel gegen Nigeria im November wollten nur 12.000 Leute sehen, von einer allgemeinen EM-Euphorie ist wenig zu spüren in der Alpennation.

Doch diese Ausgangslage birgt auch eine wunderbare Chance für das Duell mit den Deutschen. Seit 1956 haben die Schweizer nicht gewonnen gegen den großen Nachbarn, "vielleicht ist es jetzt mal wieder so weit", meint Frei. Ein solcher Sieg könnte sich zum zündenden Moment entwickeln. In jedem Fall sei das Team "seit 2006 reifer geworden, vielleicht war die Mannschaft noch nie so gut wie jetzt", sagt Frei, der ziemlich aufgedreht wirkt am Tag vor der Partie. Die Schweiz wartet darauf, dass diese Entwicklung nun endlich auch auf dem Rasen zu sehen sein wird, und keine Gelegenheit wäre passender als das Spiel gegen Deutschland, allenfalls noch das Eröffnungsspiel gegen Tschechien im Juni.

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