Funkhaus Nalepastraße in Berlin: Ein vergessenes Idyll
Das Funkhaus Nalepastraße soll nach einem Besitzerwechsel zum Musik- und Kreativzentrum umgewandelt werden.
Es ist ein herrlicher Frühherbsttag in Oberschöneweide, und den BesucherInnen, die die lange Auffahrt zum Spreeufer hinabwandern, bietet sich ein geradezu idyllischer Anblick. Die Künstlerin Chryssa Tsampazi sitzt mit etwa 20 anderen Leuten auf der niedrigen Mauer, die das Gelände des „Funkhauses Berlin“ zum Wasser abgrenzt. Sie angelt. Genauer gesagt: Sie angelt mit Flüchtlingen. Einfache Angeln und Köder werden gestellt.
Diese Performance ist Teil der Ausstellung „Arcadia Unbound“, die kuratiert wird von Janine Eggert, Sibylle Jazra, Marte Kiessling und Christopher Sage.
Tragfähiges Konzept
Es ist Art Week in Berlin – und die will Uwe Fabich, seit Mai dieses Jahres neuer Eigentümer des Funkhauses Nalepastraße – so der vorherige Name -, nutzen, um mit Wumms auf den Neustart hinzuweisen: Die Zukunft des denkmalgeschützten Komplexes von 1952 soll endlich, nach leidigen zwei Jahrzehnten Hin und Her, mit einem tragfähigen und auch international strahlkräftigen Konzept angegangen werden. Der 41-jährige Ex-Banker strahlt Zuversicht und Begeisterung aus.
Alles muss jetzt schnell gehen. Die marode Fabrikhalle, in der jahrelang Autoreparaturwerkstätten untergebracht waren, hat bereits ein neues Dach – den Werkstätten darin wurde gekündigt. Die Halle soll bald für Messen, Märkte, spezielle Events angeboten werden – ähnlich vielleicht wie der Postbahnhof, der Fabich ebenfalls gehört.
Von dort aus verkehrt für das Kunstpublikum während der acht Tage andauernden Ausstellung ein kleines Boot der Reederei Riedel zum Funkhaus in Oberschöneweide. Auf die gleiche Art und Weise, auf dem Wasser schippernd, hat Fabich, der zwischen London, Rio de Janeiro, New York und Berlin pendelt, das Gelände vor einem Jahr zum ersten Mal entdeckt. Er war gleich begeistert: er sah ein „Arcadia Unbound“, ein entfesseltes Arkadien, wie die Gruppenausstellung nun auch heißt. „Ein verlassenes, vergessenes Idyll, das wir mit der Kunst zu neuem Leben erwecken“, erklärt Mitkuratorin Janine Eggert den Titel.
In der Ausstellung, die sympathisch, aber nicht gerade visionär erscheint, sind Arbeiten von über 40 KünstlerInnen zu sehen. Darunter finden sich bekannte Namen wie der britische Videokünstler Phil Collins oder der für den diesjährigen Kunstpreis nominierte Christian Falsnaes. Auch unbekanntere, darunter NutzerInnen des seit vielen Jahren im Hauptgebäude ansässigen Künstlerateliers.
Die Idee ist, so Sibylle Jazra, ebenfalls Mitkuratorin, „einen Dialog zwischen der Architektur und der Kunst zu erschaffen“. Das heißt dann, dass Audio- und Videoarbeiten vor allem in den beiden riesigen Sendesälen gezeigt werden. Man erlebt dort tatsächlich einen umwerfenden, klar konturierten Sound. Oder dass Materialien und Strukturen aufgegriffen werden – wie bei Ingo Gerken, der das rautenförmige Bodenornament im Erdgeschoss von Block B zu einem „SO EASY“ verarbeitet hat. Dabei tragen gerade diese Bodenplatten ein schweres Erbe: Der junge DDR-Staat verbaute ebendort dekorativen Saalburger Marmor aus Hitlers Neuer Reichskanzlei.
Die Schau bespielt neben dem ehemals als Servicegebäude eingesetztem Block vor allem die Haupträume des Block B, dessen immerhin bald 70 Jahre alte Tonstudios weltweit für ihre Aufnahmequalitäten berühmt sind. Musikproduktionen aus dem klassischen Bereich werden hier aufgenommen, aber auch Jazz, Rock oder Pop. Daher stehen sie auch im Zentrum von Fabichs Ideen für das Gelände. Das weltweit größte Musikzentrum soll hier entstehen – für Audioaufnahmen in größerem Ausmaß als derzeit, für Konzerte, nicht nur klassische, für hochwertige Musikerstudios. Musik-Software-Entwickler Native Instruments wurde als Mieter ebenso angefragt wie der Musikstreamingdienst Soundcloud. Des Weiteren plant Fabich mehrere Restaurants und einen Co-Working Space.
Man kann nur hoffen, dass Fabich auch den vielen Künstlern und Musikern im Hauptgebäude ihre bezahlbaren Ateliers lässt. Bei seiner zusammen mit Kreativen aus Rio de Janeiro geplanten „24 Stunden-Galerie“ im Foyer und im Wandelgang will er sie nach eigener Aussage mit einbeziehen. Fabich will seine Vorlieben einbringen. Er ist keiner, der was kauft und dann alles von anderen entscheiden lässt. Die Konzepte für seine Großimmobilien in Berlin – das sind neben dem Postbahnhof die mit Start-ups bespielten Erdmann-Höfe in Kreuzberg und seit Februar auch der Alte Wasserturm am Ostkreuz – haben alle die wachsende Kreativindustrie im Blick. Und verlieren dabei das Geschäft nicht aus den Augen. Auch wenn man das in der netten, von jungen KünstlerInnen mit wenig Geld in sehr kurzer Zeit aus dem Boden gestampften Ausstellung „Arcadia Unbound“ ganz vergessen will und kann.
Leser*innenkommentare
Schütze77
Auch wenn das Stichwort Gentrifizierung mittlerweile abgekaut klingt: Hier passiert etwas, was mal genauer belichtet werden sollte: Gentrifizierung durch Kunst bzw. die sog. "Kreativbranche" und deren ach so tolle Mäzäen. Worum geht es denn hier? Es soll ein Ort entstehen, der durch Event-Vermietung finanziell gefüttert werden soll, wo etablierte Kunst noch etablierter werden soll, wo sich der Investor sein Image aufhübschen kann, wo aber auch erstmal aufgeräumt wird - "die Werkstätten wurden schon gekündigt". Wo bleibt der Platz für die freie Szene, für das kleine Handwerk, wo der Freiraum für Experimente und Nicht- oder gering-Kommerzielles? Ich würde einen Investor nur dann wirklich bewundern, wenn er den Mut zu genau diesem hätte. Wenn ich einen solchen Ort besäße, würde ich dort ohne Gewinnabsicht und lediglich kostendeckend Vermietungen an bedürftige Raumsuchende vornehmen. Aber nein - wer was hat, will natürlich immer mehr, Gier ist geil. Was Berlin nicht braucht, sind noch mehr Orte für Eventfeiern und Tourismus, was Berlin braucht ist, Platz für Querdenker*innen, Raum für nicht-kommerzielle Arbeit, damit letztlich noch der Hauch einer Chance auf authentische Vielfalt bestehen kann. Bitte liebe taz geht doch mal kritisch in die Tiefe, wenn es um solche Orte geht!
ed_f
"verkehrt für das Kunstpublikum während der acht Tage andauernden Ausstellung ein kleines Boot" - diese info ist schlichtweg falsch. der shuttle verkehrte ausschließlich während der eröffnung. so-called qualitätsjournalismus ...
ed_f
kein link, keine öffnungszeiten, nicht mal die dauer des events - ist das uncool, des leser schlichtweg zu informieren?
Stefan Winter
Ich war am Samstag Abend, neben geschätzt ca. 1.000 anderen im Funkhaus – und ich kann nur sagen, dass die Ausstellung eine der besten der letzten Monate in Berlin ist. Und wie ich mitbekommen habe, mit unfassbar wenig Budget von vier Künstlern realisiert. Die Ausstellung "nett" und "wenig visionär" zu bezeichnen, finde ich, schlichtweg arrogant. Und: Es haben mitnichten Künstler aus dem Funkhaus ausgestellt, sondern internationale Künstler wie Christian Jankowski, Anette Kelm oder Anton Henning, die teilweise eigene Arbeiten für diese Ausstellung entwickelt haben.