Neue Platte von The Bug: Gute Zeiten, schlechte Zeiten
Kevin Martin alias The Bug hat in Berlin zu sich selbst gefunden: Das Album „Angels & Devils“ ist eine Emanzipation von seinem düsteren Image.
„In Berlin fühlt sich jeder Tag an wie ein Sonntag“, findet Kevin Martin alias The Bug. Der britische Musiker schwärmt von der Luftigkeit und Weite in seiner Wahlheimat. Nicht zu vergessen die günstigen Mieten, die Badeseen und die alternativen Nischen, die hier noch nicht weggentrifiziert sind.
Hm, da geht doch etwas nicht zusammen. Der Mann, der sich am relaxten Leben erfreut, ist schließlich ein Schöpfer abgründiger, bisweilen brutaler, urbaner Soundscapes; einer, der sich mit klanggewordener Dystopie einen Namen gemacht hat – und immer noch findet, dass Musik die Hörer zutiefst verstören muss.
Auf seinem Album „London Zoo“ (2008) hatte Martin auf grandiose Weise die Kakofonie und Klaustrophobie in seiner langjährigen Heimatstadt vertont, die Hassliebe zu einem Moloch. Die Musik war Destillat rhythmusgetriebener Großstadtreibung – und ein Abschied: Martins künstlerische Existenz war angesichts explodierender Mietpreise einfach zu prekär geworden, am Ende wohnte er mit Freundin in seinem Mini-Studio in einer üblen Ecke Ost-Londons, ohne Küche und Bad.
Das nun erschienene Nachfolgewerk „Angels & Devils“ klingt erst einmal ziemlich anders, von Dancehall-inspirierter Wucht keine Spur: Die ersten sechs Songs strahlen vielmehr eine filigran gewebte Moodiness aus. Seine Sounds schweben und blubbern, das Ganze ist von Melodien getragen. Bei den restlichen Songs – nach Albumlogik der zweiten Seite – ist sie aber wieder da, die Breitseite Bass.
Inspiriert von Bowie
Inspiriert ist Martins Herangehensweise übrigens von einem anderen Album, das sich ähnlich zweigeteilt mit Licht und Schatten beschäftigte – und ebenfalls teilweise in Berlin entstanden ist: David Bowies „Low“. Seit den frühen neunziger Jahren veröffentlicht Martin Musik. sein Erweckungserlebnis hatte er noch früher mit Post-Punk. Aufgewachsen an der idyllischen Südküste Englands in wenig idyllischen Familienverhältnissen wurde Musik seine Therapie: „eine Möglichkeit, mit dem Wahnsinn zu Hause und in der Welt klarzukommen“ – dafür war London ideal: „Ich wollte in eine Betonhölle.“
In London taucht er ein in die Welten von Reggae, Dancehall und Dub. Letzteres ist für ihn nicht nur ein Genre, sondern angewandte Philosophie: Soundideen auseinanderpflücken, zerschreddern und zu etwas Neuem zusammensetzen.
Tatsächlich sollte Martin zum Pionier der Dubstep-Szene werden, lange bevor sie diesen Namen trug. An Martins Entwicklung lässt gut sich nachvollziehen, wie Musik aus Jamaika im forcierten britischen Popkapitalismus zu einem hybriden Gebilde wurde.
Als Teenager bei Death-Metallern
Zunächst führte ihn die Suche allerdings in Noise-Gefilde. Anfang der Neunziger gründete er mit Justin Broadrick die Jazzmetal-Combo GOD. Broadrick spielte als Teenager bei den Death-Metalern Napalm Death, später begründete dieser die Industrial-Noise-Band Godflesh: ein ähnlicher umtriebiger Soundforscher, der, neben unzähligen Musikern von Mark Stewart bis Blixa Bargeld, mit denen Martin über die Jahre kollaborierte, sein engster Wegbegleiter werden sollte, unter anderem in der Industrial-HipHop-Formation Techno Animal.
Auch auf „Angels & Devils“ ist Broadricks Gitarre zu hören. Unter dem Alias Pressure veröffentlichte Martin zudem auf Hyperdub, dem Londoner Label, an dem nicht vorbei kommt, wer sich für zeitgenössische Basssounds interessiert. Seit einigen Jahren ist Martin auch in traumwandlerischeren Klangwelten unterwegs: Zusammen mit Roger Robinson, einem Londoner Spoken-Word-Künstler mit trinidadischen Wurzeln, und der japanischen Künstlerin Kiki Hitomi arbeitet er als King Midas Project.
Mit dem Avant-Dancehall-Projekt The Bug, das trotz brutaler Beats den großen Crossover-Appeal hat, ist er solo unterwegs und lässt sich von Sängern unterstützen. Während auf „London Zoo“ hauptsächlich Künstler aus der Londoner MC-Szene zu hören waren, Warrior Queen etwa oder Flowdan, der mit seinem Roll-Deep-Kollektiv den Popaspekt von Grime und Dubstep enorm gesteigert hat, ist die Liste der Gäste auf dem neuen Album internationaler und genreübergreifender.
Besonders der Beitrag der jungen Sängerin Inga Copeland, bekannt geworden durch das Projekt Hype Williams, weiß zu überzeugen. Mit Liz Harris alias Grouper, Gonjasufi und Death Grips sind zudem Künstler der US-Westküsten-Avantgarde vertreten.
Neues Leben in Berlin
Wohin ihn sein neues Leben in Berlin musikalisch führen wird, darauf ist Martin selbst gespannt. „Angels & Devils“ ist da nur bedingt aussagekräftig. Die meisten Tracks waren bei seinem Umzug 2013 bereits im Kasten. Abgemischt hat er die Musik des Albums im ehemaligen Gebäude des DDR-Rundfunks in der Nalepastraße. „In den letzten Jahren ist mir klar geworden, dass man Licht ins Leben lassen muss – der eigenen psychischen Gesundheit zuliebe. Um meine Balance zu finden, habe ich einfach stärkere Pendelausschläge als die meisten Menschen. Früher dachte ich, dass es mir um Realität geht, dass meine Musik etwas Hyperreales ist. Mittlerweile ist mir klar, dass auch ich Eskapismus suche.“
Atmosphärisch vielschichtig ist „Angels & Devils“ geworden, nicht so bemüht dichotomisch, wie Titel und Konzept des Albums befürchten lassen. Das emotionale Spektrum ist weiter aufgefächert. Doch auch auf der „Angels“-Seite schwingt etwas unterschwellig Dräuendes mit, etwa in dem Opener „Void“. Wenn das schon die helle Seite ist!
Auf jeden Fall sind es Sounds, die einem auf subtile Weise das Hirn zerschreddern. Dass Martin in Berlin ein neues Umfeld gefunden hat, scheint seinem Schaffensdrang keinen Abbruch zu tun. Und dass sich jeder Tag wie Wochenende anfühlt, bedeutet nicht, dass er es sich gemütlich macht. Nein, so Martin, Klangforschung sei für ihn eine Weg, mit seinem Leben klarzukommen: „Das habe ich so verinnerlicht, ich kann gar nicht mehr anders.“
Mit dem King Midas Project arbeitet er derzeit bereits an einem neuen Album. Weitere Veröffentlichungen als The Bug sind ebenso geplant, unter anderem die Weiterentwicklung einer Performance, die er im März in der Berlinischen Galerie auf die Bühne gebracht hatte: arhythmische Drone-Sounds, wegschwimmenden Melodien. „London war ein großartiger Katalysator“ sagt Martin. „Das Feuer aber trage ich inzwischen in mir.“